Rz. 20
Abs. 2 übernimmt wortgleich die bisher in § 50 Abs. 3 enthaltene Regelung und ergänzt diese. Nach bisheriger Gesetzeslage bestehende Unklarheiten und Zweifel hinsichtlich der Voraussetzungen für die Anrufung des Familiengerichts sollen dadurch beseitigt werden. Das Jugendamt ist nach Abs. 2 Satz 1 berechtigt und verpflichtet, das Familiengericht anzurufen, wenn und sobald es ein Tätigwerden des Gerichts für erforderlich hält. Nach wohl überwiegender Auffassung (Bringewat, in: LPK-SGB VIII, § 8a Rz. 52; Kunkel, ZKJ 2008 S. 53; Wiesner, SGB VIII, § 8a Rz. 44) steht dem Jugendamt bei der Entscheidung, ob das Familiengericht angerufen wird, eine Einschätzungsprärogative zu. Dies wird daraus gefolgert, dass das Jugendamt nach dem Gesetzeswortlaut die Erforderlichkeit zu prüfen hat (anders: Bohnert, in: Hauck/Noftz SGB VIII § 8a Rz. 12; zur Vorläufervorschrift des § 50 Abs. 3: Meysen, ZfJ 2001 S. 412). Ein Ermessensspielraum besteht auf der Rechtsfolgenseite hingegen nicht.
Rz. 20a
Ein gesteigerter Grad der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn Verdachtsmomente auf eine konkrete Gefährdung hinweisen oder wenn sich aus der Situation der Familie Anhaltspunkte für eine Gefährdungslage ergeben. Entscheidungsgrundlage ist die Einschätzung und Bewertung der häuslichen und sozialen Situation der Familie, des Erscheinungsbildes und des Verhaltens des Kindes und des Kooperationsverhaltens der Eltern, des alleinerziehenden Elternteils oder des sonstigen Erziehungsberechtigten durch die verantwortliche Fachkraft des Jugendamtes. Die Anrufung des Familiengerichts ist auch dann geeignet und erforderlich, wenn die in Abs. 1 und 2 vorgesehenen Hilfen nicht ausreichen oder nicht greifen. Da dem Jugendamt nur begrenzte Mittel zur Risikoabschätzung zu Gebote stehen, wenn die Erziehungs- oder Personensorgeberechtigten nicht mitwirken, wird diese Alternative im letzten HS des Abs. 3 Satz 1 gesondert aufgeführt. Als Regelbeispiel nennt Abs. 2 Satz 1 HS 2 die Situation, dass die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder nicht in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken (Problemakzeptanz) und angebotene Hilfen anzunehmen (Hilfeakzeptanz). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ohne die Mitwirkung der Erziehungsberechtigten die Aufklärung des Bestehens einer Kindeswohlgefährdung an Grenzen stößt und Hilfen i. S. d. Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 ineffektiv bleiben müssen.
Rz. 20b
Aus der reinen Gefährdungsmitteilung des Jugendamts, also der damit verbundenen bloßen Information des Familiengerichts darüber, dass das Jugendamt dessen Tätigwerden für erforderlich hält, kann keine – auch keine nur mögliche – Verletzung der Eltern oder sonstigen sorgeberechtigten Personen in eigenen Rechten erwachsen, da hierdurch unmittelbar keine Eingriffe in deren Sorgerecht und auch keine sonstigen Eingriffe in subjektive Rechte der Erziehungsberechtigten verbunden sind. Gleiches gilt für die bloße Mitwirkung des Jugendamts in einem hierdurch veranlassten familiengerichtlichen Verfahren. Allein dass hierdurch die Möglichkeit begründet wird, dass das Familiengericht in eigener Verantwortung infolge einer Gefährdungsmitteilung gemäß Abs. 2 tätig werden könnte, begründet noch keine Gefahr der Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten (Hess. VGH, Beschluss v. 7.11.2012, 10 B 1973/12). Für einen verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz gegen einen Antrag des zuständigen Jugendamtes gemäß Abs. 3 wegen des fehlenden Nachweises an der Teilnahme von Früherkennungsuntersuchungen eines Kindes ist ebenfalls kein Raum. Das Jugendamt prüft in eigener Zuständigkeit die Voraussetzungen des § 8a Abs. 1 Satz 1 für einen entsprechenden Antrag bei dem Familiengericht. Dieser amtsinterne Abwägungsprozess einer vorbereitenden Verwaltungsentscheidung unterliegt in Ansehung des Gewaltenteilungsprinzips nicht der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (VG Frankfurt, Beschluss v. 11.5.2012, 7 L 1079/12.F).