Rz. 27
Abs. 4 verpflichtet die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, Vereinbarungen mit denjenigen Trägern und Einrichtungen zu schließen, die Leistungen nach dem SGB VIII erbringen. Damit soll erreicht werden, dass freie Träger und Einrichtungen, die durch Abs. 1 nicht unmittelbar verpflichtet werden, sich vertraglich verpflichten, den Schutzauftrag nach Abs. 1 in entsprechender Weise wahrzunehmen, d. h.,
- Anhaltspunkte für die Gefährdung des Kindeswohls wahrzunehmen,
- bei der Risikoabwägung mehrere Fachkräfte einzubeziehen und eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuzuziehen,
- Personensorgeberechtigte sowie Kinder und Jugendliche einzubeziehen, soweit nicht der Kinder- und Jugendschutz dadurch nicht infrage gestellt wird,
- bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinzuwirken,
- das Jugendamt zu informieren, falls die Hilfen nicht ausreichen, um die Gefährdung abzuwenden,
- in den jeweiligen Verfahrensschritten die spezifischen Datenschutzbestimmungen der §§ 61 ff. zu beachten.
Zur entsprechenden Wahrnehmung des Schutzauftrages gehört sowohl die Informationsgewinnung als auch die Risikoabschätzung. Absatz 4 Satz 2 hebt hervor, dass die Träger von Einrichtungen und Diensten ebenso wie die öffentlichen Träger der Jugendhilfe verpflichtet sind, bei Personensorge- und Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen und damit auf deren Obliegenheit zur aktiven Mitwirkung hinzuwirken. Falls diese nicht ausreichend mitwirken, sollen die Einrichtungsträger das Jugendamt informieren. Die mit dem KJSG erfolgte Änderung von Abs. 4 Satz 2 trägt Art. 16 der VN-Behindertenrechtskonvention Rechnung. Die sich daraus ergebende Verpflichtung ist unmittelbar geltendes Recht. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat bei der Wahrnehmung des Schutzauftrags und damit insbesondere auch bei der Einschätzung der Gefährdung eines Kindes oder Jugendlichen den besonderen Schutzbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen Rechnung zu tragen (BT-Drs. 19/28107 S. 75).
Rz. 28
Das Anforderungsprofil für eine insoweit erfahrene Fachkraft ist gesetzlich festgelegt. Zwingend erforderlich sind jedenfalls Wissen und Praxiserfahrung in der Entwicklungspsychologie allgemein sowie insbesondere zum Thema Kindeswohlgefährdung. Auch sollte die "insoweit erfahrene Fachkraft" über entsprechende Praxiserfahrungen in der Zusammenarbeit von Trägern der freien und der öffentlichen Jugendhilfe verfügen (Kößler, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Aufl., § 8a Rz. 63 mit Hinweis auf Meysen, in: Frankfurter Komm., SGB VIII, § 8b Rz. 8).
Mit dem neu eingefügten Abs. 5 wird klargestellt, dass auch Kindertagespflegepersonen durch den Abschluss von Vereinbarungen mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe in den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung einzubeziehen sind (BT-Drs. 19/28870 S. 101).
Rz. 29
Der Normbefehl richtet sich an die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, sie haben mit jedem Träger einer Einrichtung oder eines Dienstes eine Vereinbarung zu schließen mit dem Ziel, diese zur Wahrnehmung derjenigen Aufgaben zu verpflichten, die in Abs. 1 den öffentlichen Trägern auferlegt werden. Der Abschluss der Vereinbarungen wird dem öffentlichen Träger zwingend aufgegeben ("… sind zu verpflichten …"); es besteht kein Ermessensspielraum. Die jeweilige Vereinbarung hat den Rechtscharakter eines öffentlich-rechtlichen Vertrages i. S. d. §§ 53, 55 SGB X. Die Vorschrift macht deutlich, dass sowohl mit freien Trägern der Jugendhilfe als auch mit den übrigen Leistungserbringern, den privat-gewerblichen Trägern von Einrichtungen und Diensten (vgl. zur Differenzierung die Komm. zu § 3). Zu den Einrichtungen und Diensten zählen freilich nicht einzelne Pflegepersonen, wohl aber Zusammenschlüsse von Pflegepersonen (§ 23 Abs. 4 Satz 3). Eine Verpflichtung der Pflegeperson ist jedoch in § 37 Abs. 3 Satz 2 normiert.
Rz. 30
Vereinbarungen nach Abs. 4 können in Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 78 oder in Verträge nach § 77 integriert werden. Sie können aber auch Gegenstand gesonderter Verträge sein.