0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Das JWG kannte keine eigenständige Regelung, sondern sah in § 82 eine entsprechende Anwendung der §§ 90 und 91 BSHG vor. Erst das KJHG v. 26.6.1990 brachte in § 94 eine eigenständige Regelung im Jugendhilferecht. Artikel 1 Nr. 40 des 1. SGB VIII-ÄndG v. 16.2.1993 (BGBl. I S. 239) spaltete die Reglung des § 94 auf. § 95 übernahm die bisher in § 94 Abs. 1 enthaltene Regelung und ergänzte die Bestimmung zur Überleitung von Ansprüchen durch Übernahme der Vorschriften des § 90 Abs. 1 Satz 3 und 4 BSHG. Durch Art. 1 Nr. 50 KICK wurde § 95 den neu gefassten Kostenbestimmungen der §§ 90 bis 94 angepasst. Mit Art. 1 Nr. 21 KiföG v. 10.12.2008 (BGBl. I S. 2403) wurde die aufgrund der Novellierung der Kostenregelungen durch das KICK gesetzestechnisch missglückte und inhaltlich inkorrekte Verweisung an die geänderten Bestimmungen angepasst. Durch Art. 1 des Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe v. 21.12.2022 (BGBl. I S. 2824) wurde Abs. 1 mit Wirkung zum 1.1.2023 redaktionell angepasst. Aufgrund der Änderung des Personenkreises in § 92 Abs. 1a wurde die Einfügung von Abs. 1 Satz 2 notwendig. Der Anwendungsbereich des § 95 sollte nach dem Willen des Gesetzgebers durch diese redaktionelle Anpassung nicht geändert werden (BT–Drs. 20/3439 S. 13).
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 95 regelt die Überleitung von Ansprüchen des Kostenbeitragsschuldners gegen Dritte, die nicht Sozialleistungsträger sind, und tritt neben die Vorschriften zur Erhebung von Kostenbeiträgen. Die Vorschrift soll den Nachrang der Leistungen der Jugendhilfe sicherstellen. Die Vorschrift ist der Überleitungsvorschrift des § 90 BSHG nachgebildet und räumt dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe das Recht ein, durch Überleitung Ansprüche des Kostenbeitragsschuldners im eigenen Namen geltend zu machen. Die durch das KiföG geänderte Verweisung in § 95 Abs. 1 bezieht sich nunmehr zutreffend auf den Kreis der Anspruchsberechtigten bzw. Kostenschuldner in § 92 Abs. 1.
2 Rechtspraxis
2.1 Anwendungsbereich und Voraussetzungen der Überleitung von Ansprüchen
Rz. 3
§ 95 Abs. 1 regelt das Verfahren bei der Überleitung von Ansprüchen durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, der Leistungen gewährt hat. Er bestimmt zunächst den Kreis derjenigen, gegenüber denen eine Überleitung von Ansprüchen überhaupt möglich ist. Es darf sich nach Satz 2 nicht handeln um
- einen Leistungsträger i. S. d. § 12 SGB I, d. h. die für die Leistungen in §§ 18 bis 29 SGB I aufgeführten Behörden, Körperschaften und Anstalten. Es sind dies die Ämter und Landesämter für Ausbildungsförderung (§ 18 SGB I), die Agenturen sowie die Bundesagentur für Arbeit, die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie die zwischen diesen errichteten Arbeitsgemeinschaften (§§ 19 bis 19b SGB I, § 44b SGB II), Krankenkassen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (§ 20 SGB I, § 21a f. SGB I), Einrichtungen der gesetzlichen Unfallversicherung, z. B. Berufsgenossenschaften, Unfallkassen, Unfallversicherungsverbände (§ 22 SGB I), die gesetzlichen Rentenversicherungsträger (§ 23 SGB I), die Versorgungsämter, Landesversorgungsämter, die orthopädischen Versorgungsstellen, die Kreise und kreisfreien Städte (§ 24 SGB I), die Familienkassen und zuständigen Stellen für die Gewährung des Bundeserziehungsgeldes (§ 25 SGB I), die Wohngeldstellen (§ 26 SGB I) die Kreise und kreisfreien Städte als örtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 28 SGB I) sowie die zuständigen Träger für Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (§ 29 SGB I);
- eine in § 92 Abs. 1a genannte Person;
- eine andere gegenüber dem jungen Menschen oder Leistungsberechtigten nach § 19 dem Grunde nach zum Unterhalt verpflichtete Person. Mit diesem, durch Art. 1 des Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe v. 21.12.2022 (BGBl. I S. 2824) neu eingefügten, ausgeschlossenen Personenkreis sollte klargestellt werden, dass Ansprüche gegenüber Unterhaltspflichtigen, die auch bisher nicht kostenpflichtig waren, nicht über § 95 geltend gemacht werden können. Das Recht der Kostenheranziehung soll für die Inanspruchnahme von Unterhaltsverpflichteten abschließend sein (BT–Drs. 20/3439 S. 13).
Für die Erstattungsansprüche gegen einen Leistungsträger gelten §§ 102 bis 114 SGB X, die das Verfahren abschließend regeln, wobei insbesondere die dortige Ausschlussfrist von 12 Monaten nach Ablauf des Leistungszeitraumes (§ 111 SGB X) zu beachten ist.
Rz. 4
Die Überleitung erfolgt durch Anzeige sowohl gegenüber dem anderen (Dritten) als gegenüber dem Anspruchsinhaber (str.) durch den sachlich und örtlich zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Nur dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe steht ein Überleitungsrecht zu, nicht dem Träger der freien Jugendhilfe, auch wenn er im Auftrag des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe Leistungen erbringt. Die Überleitung ist ein (belastender) Verwaltungsakt, für den die allgemeinen Bestimmungen des SGB X (§§ 31 ff. SGB X) gelten. Die Überleitungsanzeige muss hinr...