2.1 Zweck der Regelung
Rz. 2
Zweck der Regelung ist, den Träger der Jugendhilfe über die Geltendmachung von Kostenansprüchen über die Vergangenheit hinaus (insofern genügt regelmäßig § 104 SGB X) auch für die Zukunft in die Lage zu versetzen, den typischerweise gemäß § 10 Abs. 1 bestehenden Nachrang gegenüber anderen Sozialleistungsträgern durchzusetzen. Dies dient zugleich der schnelleren Realisierung von Erstattungsansprüchen. Der erstattungsberechtigte Träger der Jugendhilfe ist aufgrund des Interessenwahrungsgrundsatzes verpflichtet, gemäß § 97 Ansprüche des Pflegekindes auf Ausbildungsförderung nachdrücklich zu verfolgen, um den erstattungsfähigen Aufwand gering zu halten (Hess VGH, Urteil v. 26.4.2005, 10 UE 514/04). Damit ergänzt die Bestimmung §§ 102 bis 105 SGB X sowie § 95 SGB VIII, der die Überleitungsbefugnis des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe gegenüber anderen Sozialleistungsträgern i. S. d. § 12 SGB I betrifft.
2.2 Voraussetzungen
Rz. 3
Die Erstattungsberechtigung nach § 97 hängt davon ab, ob der Träger der Jugendhilfe gegen einen anderen Sozialleistungsträger Ansprüche gemäß §§ 102 bis 105 SGB X erwirbt. Dazu genügt, dass über die Gewährung von Jugendhilfeleistungen dem Grunde nach positiv entschieden worden ist (Bay VGH zu § 82a JWG, Urteil v. 5.4.1990, 12 B 88.1195). Das gilt auch für den Fall drohender Kosten eines vorläufigen Tätigwerdens nach § 86d (Bay VGH, Urteil v. 11.8.1995, 12B 93.922). Es muss sich ferner um die Feststellung von Sozialleistungen i. S. d. § 11, §§ 18 bis 29 SGB I handeln (BSG, Urteil v. 19.12.1991, 12 RK 24/90; BSG, Urteil v. 11.6.1992, 12 RK 59/91; ebenso Schellhorn, in: Schellhorn SGB VIII, § 97 Rz. 8; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, § 97 Rz. 1; Mrozynski, SGB VIII, § 97 Rz. 1; a. A. Paul, LPK SGB VIII, § 97 Rz. 3). In Betracht kommen insbesondere folgende Fälle:
Rz. 4
- Erbringung von vorläufigen Leistungen durch den Träger der Jugendhilfe aufgrund von § 43 SGB I (dann greift § 102 SGB X ein),
- Erbringung nachrangiger Leistungen durch den Träger der Jugendhilfe (dann greift im Verhältnis zum vorrangig verpflichteten Leistungsträger § 104 SGB X ein),
- Erbringung von Leistungen in der irrigen Annahme eigener Zuständigkeit durch den unzuständigen Träger der Jugendhilfe (dann greift im Verhältnis zum zuständigen Träger § 105 SGB X ein).
Rz. 5
In bestimmten Fällen, nämlich dann, wenn eine Unterbringung in einer anderen Familie erfolgt, ist § 97 auch in der Sozialhilfe entsprechend anwendbar (§ 107 SGB XII = § 104 BSHG a. F.). Das gilt aber nicht, sofern die Unterbringung nach dem Jugendhilferecht des SGB VIII erfolgt ist (Nds. OVG, Urteil v. 19.5.2005, 12 LC 291/02).
Rz. 6
Nicht unter § 97 fällt die Ausübung von Gestaltungsrechten (wie z. B. der Beitritt zu einer Krankenversicherung), weil es sich hierbei nicht um Sozialleistungen, sondern um höchstpersönliche Entscheidungen handelt (BSG, Urteil v. 19.12.1991, 12 RK 24/90; BSG, Urteil v. 11.6.1992, 12 RK 59/91; Paul, a. a. O., § 97 Rz. 4; Schellhorn, § 97 Rz. 9). Soweit der Antrag demgegenüber keine rechtsgestaltende, sondern nur verfahrenseröffnende Wirkung hat, erwirbt der Jugendhilfeträger nach Sinn und Zweck des § 97 die Befugnis, die fehlende Anspruchsvoraussetzung selbst zu erfüllen (Hauck/Noftz/Stähr, SGB VIII, § 97 Rz. 7).
2.3 Rechtsfolgen für den Jugendhilfeträger
Rz. 7
Der Träger der Jugendhilfe hat die Befugnis, nach pflichtgemäßen Ermessen ("kann") darüber zu entscheiden, ob er im eigenen Namen für den Empfänger der Jugendhilfe Anträge stellt, um ein Verwaltungsverfahren zur Feststellung von Sozialleistungen eines anderen Trägers einzuleiten. Dabei steht die Rechtsposition nach § 97 in Konkurrenz zur Geltendmachung eigener Erstattungsansprüche (Bay LSG Urteil v. 13.2.2007, L 15 VG 1/06).
Rz. 8
Für das Ermessen kommt es grundsätzlich allein auf das Kosteninteresse des Jugendhilfeträgers an, der insoweit ein Wahlrecht zwischen dem Vorgehen nach § 97 und der Erstattung nach §§ 102 ff. SGB X hat (BSG, Urteil v. 23.2.1955, IV ZR 223/54). Die Anwendung des § 97 kann aber im Verhältnis zum Leistungsberechtigten missbräuchlich sein, wenn der Jugendhilfeträger sich in ein bereits laufendes Feststellungsverfahren "hineindrängt" (ebenso Schellhorn, § 97 Rz. 17).
Rz. 9
Beantragt der Träger die Feststellung der Sozialleistung, so hat er die Rechtsstellung eines Prozessstandschafters, d. h. er macht ein fremdes Recht im eigenen Namen geltend (BSG, Urteil v. 15.12.1961, 4 RJ 43/61) und kann auch selbst Rechtsmittel einlegen (BSG, Urteil v. 15.2.2000, B 11 AL 73/99 R). Insofern muss das Vorverfahren eingehalten werden, und über den gestellten Antrag muss – obgleich sich die beteiligten Träger nicht im Über-Unterordnungsverhältnis gegenüberstehen – durch Verwaltungsakt entschieden werden (BSG, Urteil v. 22.1.1971, 1 ZR 132/69; Paul, a. a. O., § 97 Rz. 5).
Rz. 10
Nach § 97 Satz 2 wirken die ohne Verschulden (i. S. d. § 276 BGB) des Jugendhilfeträgers versäumten Fristen nicht gegen ihn. Das betrifft etwa den Fall, dass ein Bescheid gegenüber dem Leistungsempfänger ergeht, von dem der Jugendhilfeträger keine Kenntni...