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Nach wie vor wird die Aufgabe der Sozialhilfe darin gesehen, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, dass der Würde des Menschen entspricht. Die Bezugnahme auf Art. 1 Abs. 1 GG stellt deutlich heraus, wie sehr die Menschenwürde auch immer noch Maßstab zu sein hat, wenn es in der Bundesrepublik Deutschland um die Absicherung von Menschen in Notsituationen geht.
Reine Willkür ist bei der Sorge um Menschen in Notlagen – gleich welcher Art und ganz gleich, aus welchem Grund die Menschen in diese Situation geraten sind – ausgeschlossen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat vor diesem Hintergrund in seiner Rechtsprechung immer wieder betont, dass ein verfassungsrechtlich verbürgter Anspruch auf ein sozio-kulturelles Existenzminimum besteht (BVerwGE 1 S. 159; 23 S. 153; 28 S. 222; Armborst, Sozialgesetzbuch XII, Lehr- und Praxiskommentar, 11. Aufl. 2018, § 1 Rz. 5 m. w. N.; Fichtner/Wenzel, SGB XII – Sozialhilfe mit AsylbLG, 4. Aufl. 2009, § 1 Rz. 9; Dauber, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Teil 2, Stand: Januar 2011, § 1 Rz. 11; Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 1 Rz. 21; Linhart/Adolph, SGB II, XII, AsylbLG, 65. Aktualisierung, Stand: Juni 2014, § 1 Rz. 16).
Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist dabei immer auf die herrschenden Lebensgewohnheiten abzustellen (BVerwG, Urteil v. 22.4.1970, FEVS 17 S. 321). Das sozio-kulturelle Existenzminimum ist mithin auch keine rein statische Größe, sondern unterliegt den sich ändernden Verbrauchs- und Lebensgewohnheiten in unserem Lande (Dauber, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 1 Rz. 12 m. w. N.; Armborst, a. a. O., § 1 Rz. 6). Die Sozialhilfe muss dann einsetzen, wenn eine hilfesuchende Person in ihrer Lebensführung so weit abzusinken droht, dass ihre Menschenwürde, gemessen an ihrer Umwelt, Schaden zu nehmen droht (BVerwG, Urteil v. 11.11.1970, FEVS 18 S. 86; Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 1 Rz. 21; Bieresborn, Sozialrecht aktuell 2007 S. 88, 94 f.). Leistungsberechtigte sollen durch die Gewährung von Sozialhilfeleistungen in den Stand versetzt werden, in der Umgebung von Nichtleistungsberechtigten zu vergleichbaren Bedingungen leben zu können (Hüttenbrink, Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II, 11. Aufl. 2009, S. 113; Dauber, a. a. O., § 1 Rz. 14).
Für Situationen, in denen insgesamt der Lebensstandard beispielsweise absinkt – wie es bei einer seit Jahren konstanten Arbeitslosenzahl von mehreren Millionen Menschen und stagnierender Wirtschaft anzunehmen ist –, bedeutet dies, dass unter Umständen auch verändertes Verbrauchsverhalten seinen Niederschlag in der Praxis der Sozialhilfegewährung findet. Dennoch ist immer der konkrete Einzelfall zu entscheiden und es ist bei der noch zu berücksichtigenden Sozialhilfe in Form eines Rechtsanspruchs nicht zulässig, Leistungen mit der Begründung fehlender finanzieller Mittel beim Sozialhilfeträger zu verweigern. Insoweit muss mit besonderem Augenmerk darauf geachtet werden, wenn Sozialhilfeträger versuchen sollten, für bestimmte Bereiche sog. Leistungsbudgets einzuführen. Diese dürfen nicht dazu dienen, durch vorgegebene Budgets die Menge der in Anspruch zu nehmenden Leistungen schon vor Beginn etwa eines Haushaltsjahres betragsmäßig zu begrenzen. Derartige Bestrebungen sind aus dem Bereich der Jugendhilfe bekannt (Stichwort: Sozialraumbudgets). Zu haushaltsplanerischen Zwecken ist es sicherlich zulässig, mit einem bestimmten Leistungsaufkommen für einen Jahreszeitraum zu planen – vorausgesetzt, die Planungsgrößen basieren auf realistischen, transparenten und nachvollziehbaren Annahmen; wenn aber im Laufe eines Haushaltsjahres z. B. durch eine größere Firmeninsolvenz im Gebiet eines Sozialhilfeträgers vermehrte Leistungsansprüche gestellt werden sollten/müssten, dann darf dies nicht zur Ablehnung von Anträgen mit der Begründung führen, dass die finanziellen Mittel ausgeschöpft seien.
Inwieweit allerdings dieses sozio-kulturelle Existenzminimum auch im SGB XII tatsächlich in der Praxis umgesetzt und akzeptiert wird, erscheint auch Jahre nach der Einführung des Gesetzes fraglich.
Zumindest müssen in Teilen erhebliche Bedenken angemeldet werden, etwa deshalb, weil nach § 37 SGB XII im Falle einer nicht möglichen Bedarfsdeckung nur noch mittels zusätzlicher Darlehen an Leistungsberechtigte deren Bedarf sichergestellt werden soll (kritisch zu dieser Regelung: Conradis, in: SGB XII – Ein Überblick, ASR 2/04 S. 48 f.). Dies führt im Ergebnis dazu, dass an ohnehin finanziell am Rande lebende Menschen von staatlicher Seite Darlehen vergeben werden und dadurch letztlich die Notlage dieser Menschen noch weiter verstärkt wird.
Oder wenn man bedenkt, dass seit der Gesundheitsreform 2004 Sozialhilfebezieher nur noch die Leistungen erhalten, die in der gesetzlichen Krankenversicherung (SGB V) vorgesehen sind. Weiter gehende Regelungen etwa im Bereich der dort vorgesehenen Zuzahlungsregelungen sind in diesem Zusammenhang gestrichen worden. Für alte Menschen, die in einer stationären Pflegeeinrichtung leben, b...