Rz. 18

Nicht das Herbeiführen als solches, sondern nur das vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführen der Sozialhilfebedürftigkeit führt zum Kostenersatz. Vorsätzlich handelt, wer mit Wissen und Wollen die Voraussetzungen schafft, die die Sozialhilfeleistungen auslösen. Überwiegend wird vertreten, dass sich der Vorsatz nicht auf den Erfolg – die Gewährung von Sozialhilfe – beziehen muss (Wolf, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl., § 103 Rz. 7); Steimer, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 103 Rz. 12). Da es sich um einen quasi-deliktischen Anspruch handelt (H. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl., § 103 Rz. 4; BVerwG, Urteil v. 23.9.1999, 5 C 22/99, FEVS 51 S. 341; vgl. auch Rz. 25) und eine Haftung für unbeabsichtigte oder unvorhersehbare Folgen außer im Rahmen einer verschuldensunabhängigen Haftung als Ausnahme nicht in Betracht kommt, muss sich der Vorsatz auch auf die Folge beziehen mit der Maßgabe, dass diese nicht beabsichtigt, wohl aber mindestens billigend in Kauf genommen worden sein muss.

 

Rz. 19

Grob fahrlässig handelt, wer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer nahe liegende Überlegungen einfacher Art nicht anstellt und das unbeachtet lässt, was jedem in der Situation sofort einleuchten würde (vgl. auch § 45 Abs. 2 Nr. 3 SGB X). Auch in Fällen grober Fahrlässigkeit muss sich der Schuldvorwurf auf den Erfolg – die Herbeiführung der Sozialhilfe – beziehen. Es gilt das oben zum Vorsatz Gesagte, mit der Besonderheit, dass der Erfolg für möglich, obgleich nicht für wünschenswert gehalten wird. Der anzulegende Maßstab der Sorgfaltspflicht ist nicht nach subjektiven, in der Vorstellung des Einzelnen liegenden, sondern nach objektiven Maßstäben zu beurteilen (OVG Münster, Urteil v. 23.5.1990, NDV 1990 S. 431).

 

Rz. 20

Unter Verhalten ist auch ein Unterlassen zu verstehen, daher kann die Vorwerfbarkeit des Verhaltens auch auf der Verletzung einer Handlungspflicht beruhen (Wolf, in: Fichtner/Wenzel, a. a. O., § 103 Rz. 7).

 

Rz. 21

Das Verhalten muss nicht rechtswidrig sein, die mutwillige Aufgabe des Arbeitsplatzes mit der Folge von Sozialhilfebedürftigkeit ist nicht rechtswidrig, dennoch geeignet, eine Kostenersatzpflicht auszulösen (H. Schellhorn, in: Schellhorn/SchellhornHohm, a. a. O., § 103 Rz. 17). Dennoch führt nicht jedes rechtmäßige mutwillige Verhalten zu einer Kostenersatzpflicht. Daher hat die Rechtsprechung den Begriff der Sozialwidrigkeit entwickelt. Sozialwidrig handelt, wer etwas tut oder unterlässt, das aus Sicht der Gemeinschaft, die als Solidargemeinschaft die Mittel für die Sozialhilfeleistung aufbringen muss, zu missbilligen ist (BVerwG, Urteil v. 14.1.1982, 5 C 70/80, FEVS 31 S. 265 = NDV 1982 S. 238).

 

Rz. 22

Einen gesetzlich vorgesehenen Fall des sozialwidrigen Verhaltens durch Unterlassen sieht § 92 Abs. 2 Satz 6 vor, wonach zum Ersatz der Kosten nach den §§ 103 und 104 insbesondere verpflichtet ist, wer sich in den Fällen der Inanspruchnahme von Leistungen zur medizinischen oder beruflichen Rehabilitation vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht oder nicht ausreichend versichert hat (ebenso: Wolf, in: Fichtner/Wenzel, a. a. O., § 103 Rz. 7 unter Hinweis auf Zeitler, NDV 2001 S. 318).

 

Rz. 23

Sozialwidriges Verhalten wurde angenommen:

  • bei unbegründeter Kündigung des Arbeitsverhältnisses (Steimer, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 103 Rz. 13; OVG Lüneburg, Urteil v. 22.11.1995, 4 L 817/95, ZfF 1998 S. 62);
  • bei ehewidrigem Verhalten, das zur Aufnahme von Mutter und Kind in ein Frauenhaus führt (H. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, a. a. O., § 103 Rz. 18; VGH Mannheim, FEVS 49 S. 101, 104);
  • bei Schwarzarbeit unter Hinterziehung der Sozialversicherungsbeiträge (H. Schellhorn, a. a. O., § 103 Rz. 11; OVG Berlin, Urteil v. 14.5.1987, 6 B 34/86, FEVS 37 S. 195, 199);
  • bei genereller Weigerung Unterhalt zu zahlen (Steimer, a. a. O., § 103 Rz. 13);
  • bei Verletzung der Unterhaltspflicht wegen Vollzugs einer Freiheitsstrafe (BVerwG, Urteil v. 10.4.2003, 5 C 4/02, DÖV 2004 S. 206; a.A. Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl., § 103 Rz. 13, der die mangelnden Verdienstmöglichkeiten im Vollzug, nicht den Vollzug selbst für ursächlich hält);
  • bei Nichtantritt einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (H. Schellhorn, a. a. O., § 103 Rz. 17; OVG Münster, FEVS 52 S. 131);
  • bei Herbeiführung einer Behinderung (H. Schellhorn, a. a. O., § 103 Rz. 12 a. E.; Wolf, in: Fichtner/Wenzel, a. a. O., § 103 Rz. 12);
  • Kündigung der Krankenversicherung (Bieback, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 103 Rz. 17, unter Hinweis auf BVerwG, Urteil v. 23.9.1999, 5 C 22/99, FEVS 51 S. 341);
  • gesetzlicher Fall der Sozialwidrigkeit: § 92 Abs. 2 Satz 6 (Conradis, a. a. O., § 103 Rz. 18 i. V. m. Rz. 17); vgl. auch Rz. 22.
 

Rz. 24

Differenzierend zu betrachten sind:

  • Unterhaltspflicht und Zweitausbildung, die lediglich um ihrer selbst willen betrieben wird, ohne die (finanzielle) Situation der Familie deutlich zu verbessern, ist sozialwidrig (Steimer, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 103 Rz. 15; H. Sche...

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