0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist neu und schließt eine unter Geltung des BSHG gegebene Regelungslücke bei Doppelbezug von 2 jeweils rechtmäßigen Sozialleistungen. Sie trat als Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) am 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1 des genannten Gesetzes) in Kraft.

 

Rz. 2

Abs. 2 beinhaltet eine notwendige Folgeänderung zu § 1 Abs. 2 Wohngeldgesetz (WohnGG) v. 17.12.1970 (BGBl. I S. 1637), zuletzt geändert durch Alterseinkünftegesetz v. 5.7.2004 (BGBl. I S. 1427). In Abs. 2 Satz 1 war zunächst die Grundsicherung nicht erwähnt; dieses Versehen wurde durch das VerwaltungsvereinfachungsG v. 9.12.2004 (BGBl. I S. 3305) korrigiert.

1 Allgemeines

 

Rz. 3

Die Vorschrift dient der Wiederherstellung des Nachrangs. Sie betrifft Fälle, in denen Sozialhilfe wegen Vorliegens von Bedürftigkeit rechtmäßig geleistet wurde und danach ein vorrangig verpflichteter Sozialleistungsträger in Unkenntnis der Sozialhilfeleistung zusätzlich der leistungsberechtigten Person Leistungen erbracht hat (meist bei Rentennachzahlungen). In diesen Fällen war nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urteil v. 17.8.1995, 5 C 26/93, FEVS 46 S. 265) eine Rückabwicklung des Sozialhilfefalles nicht zulässig, denn die Sozialhilfe war rechtmäßig geleistet worden, eine andere vorrangige Sozialleistung stand im Zeitraum des Bedarfs nicht als "bereites Mittel" zur Verfügung. Der Nachrang der Sozialhilfe sollte in diesen Fällen durch Erstattung wiederhergestellt werden, die jedoch nach altem Recht nicht möglich war, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger in Unkenntnis der Leistungen des nachrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers seinerseits nach § 104 Abs. 1 SGB X befreiend geleistet hat (Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2010, § 105 Rz. 5; Conradis, in: LPK-SGB XII, 8. Aufl. 2008, § 105 Rz. 1; Wolf, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl. 2009, § 105 Rz. 1).

 

Rz. 4

Diese Regelungslücke (Grube, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 105 Rz. 8) wird mit § 105 Abs. 1 geschlossen, indem die leistungsberechtigte Person verpflichtet wird, das Erlangte an den Träger der Sozialhilfe herauszugeben.

2 Rechtspraxis

2.1 Voraussetzungen (Abs. 1)

 

Rz. 5

Es ist eine rechtmäßige Sozialhilfeleistung erbracht worden. Im Anschluss daran hat der für diesen Sachverhalt vorrangig verpflichtete Sozialleistungsträger seine Leistung erbracht. Vor allem bei Nachzahlungen anderer Sozialleistungsträger, wie etwa des Rentenversicherungsträgers, kommt diese Fallgestaltung in der Praxis vor. Der vorrangig verpflichtete Träger hat seine Leistung in Unkenntnis der vorangegangenen Sozialhilfeleistung erbracht. Hat er Kenntnis gehabt, so kommt seiner Leistung keine befreiende Wirkung nach § 104 Abs. 1 SGB X zu und der Sozialhilfeträger kann sich von ihm die Kosten erstatten lassen, in diesen Fällen greifen also die allgemeinen Regelungen.

2.2 Rechtsfolge

 

Rz. 6

Die leistungsberechtigte Person ist zur Herausgabe des Erlangten (zur "misslungenen" Begriffswahl: Grube, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 105 Rz. 9, sowie unten Rz. 15) an den Sozialhilfeträger verpflichtet. Erlangt hat der Leistungsberechtigte beide Leistungen, sowohl die Sozialhilfe als auch im Nachhinein die Leistung des vorrangig verpflichteten Trägers. Beides herauszugeben, also das gesamte Erlangte, entspricht nicht dem Sinn der Vorschrift, die lediglich den Doppelbezug im Nachhinein ausgleichen will.

 

Rz. 7

Gemeint sein kann nur das durch die Sozialhilfeleistung Erlangte (Grube, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 5 Rz. 9); denn nur auf diese Weise wird der Nachrang der Sozialhilfe wiederhergestellt. Der Betroffene hat also das durch die Leistungen des Sozialhilfeträgers Erlangte herauszugeben, soweit dieser nur deshalb geleistet hat, weil der vorrangig Verpflichtete seiner Leistungspflicht nicht rechtzeitig nachgekommen ist.

 

Rz. 8

Die Formulierung "zur Herausgabe des Erlangten" könnte darauf schließen lassen, dass hier die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung nach dem Zivilrecht (§§ 812ff. BGB) entsprechend oder sinngemäß anzuwenden sind. Dies könnte etwa dann in Frage kommen, wenn der Leistungsberechtigte beide Leistungen im Zeitpunkt des Herausgabeverlangens des Sozialhilfeträgers bereits verbraucht hat. Dann wäre er im Sinne der §§ 812ff. BGB entreichert. Er müsste dann eventuell das Surrogat herausgeben (so Conradis, § 105 Rz. 5, gegen Grube, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 105 Rz. 9).

 

Rz. 9

Gegen die Anwendung der zivilrechtlichen Bereicherungsvorschriften spricht, dass hier die Sozialhilfe gerade nicht ohne Rechtsgrund geleistet wurde, was gerade konstitutive Voraussetzung für die Anwendung der Bereicherungsvorschriften ist. Auch die systematische Stellung der Vorschrift im Abschnitt "Kostenersatz" spricht dafür, dass nicht stoffgleich das Erlangte herauszugeben ist, sondern dass hier Kostenersatz zu leisten ist. Es gelten damit die allgemeinen Regeln des Kostenersatzes, die Kosten sind unabhängig davon zu ersetzen, ob die erhaltenen Mittel noch vorhanden sind oder nicht. "Herauszugeben" bzw. Kostenersatz ...

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