2.1 Unterbringung in einer anderen Familie
Rz. 3
Die Vorschrift setzt zunächst tatbestandlich voraus, dass ein Kind oder ein Jugendlicher in einer anderen Familie oder bei anderen Personen als seinen Eltern oder bei einem Elternteil, also außerhalb des Haushaltes der leiblichen Eltern oder Adoptiveltern untergebracht ist. Kind ist, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist (vgl. nur § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII). Vollendet der Untergebrachte das 18. Lebensjahr, so ist die Vorschrift bereits vom Wortlaut her nicht anwendbar ("… ein Kind oder ein Jugendlicher ... untergebracht ist."). Dies gilt auch, wenn der Jugendliche während der Unterbringung das 18. Lebensjahr vollendet. Dann findet § 107 ab diesem Zeitpunkt keine Anwendung mehr und gilt nicht etwa mit Blick auf das Aufnahmealter fort; denn es fehlt daran, dass ein Jugendlicher untergebracht ist (OVG Niedersachsen, Urteil v. 14.3.2007, 4 LC 86/07).
Eine Unterbringung bei Pflegeltern liegt vor, wenn das Kind bzw. der Jugendliche dort aufwächst und die Pflegeeltern die Erziehung, Betreuung, Versorgung und die Aufsicht über das Kind bzw. den Jugendlichen anstelle der leiblichen Eltern auf Dauer übernommen haben. Ist letztgenannte Voraussetzung gegeben, so liegt eine Familienpflege auch dann noch vor, wenn das Kind etc. nicht nur in der Pflegefamilie, sondern auch teilstationär in einer Taubblindenanstalt untergebracht ist (VGH Bayern, Beschluss v. 2.8.2001, 12 B 98.763). Anderes gilt aber, wenn die Eltern Erziehung und Betreuung in nicht völlig untergeordnetem Umfang übernehmen; dann ist § 107 nicht einschlägig. Die Abgrenzung einer Pflegefamilie von einer stationären Einrichtung vollzieht sich nach dem BSG nicht über die Intensität der Betreuung; so ergebe sich aus § 107, dass die Unterbringung in einer Pflegefamilie nicht mit anderen ambulanten Leistungen (insbesondere dem Ambulant betreuten Wohnen, vgl. § 98 Abs. 5) gleichgesetzt werden, sondern vielmehr die Vorschriften zur Zuständigkeit bei stationärer Unterbringung für analog anwendbar erklärt würden (vgl. BSG, Urteil v. 26.10.2017, B 8 SO 12/16 R, Rz. 33). Eine Unterbringung in einer anderen Familie liegt nicht vor, wenn eine Mutter gemeinsam mit ihrem Kind in einem Frauenhaus untergebracht ist (vgl. W. Schellhorn, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, 19. Aufl. (2015), SGB XII, § 107 Rz. 10; Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, 6. Aufl. (2018), SGB XII, § 107 Rz. 4).
Die Unterbringung muss keine Leistung nach dem SGB XII sein. Vielmehr ist es unerheblich, auf welchem (sozialhilfe-, jugendhilfe- bzw. familienrechtlichen) Grund sie beruht. Denn § 107 knüpft tatbestandlich nur an die tatsächliche Unterbringung ("wenn ein Kind ... untergebracht ist") an und bestimmt nicht, dass die Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen ihrerseits bereits eine sozialhilferechtliche Maßnahme sein muss (BVerwG, Urteil v. 17.3.2003, 5 C 14/02). Der Anwendungsbereich der Regelung ist nicht beschränkt auf eine besondere Unterbringung eines Kindes oder Jugendlichen als Maßnahme der Sozialhilfe; entscheidend ist allein die tatsächliche Unterbringung, also ungeachtet ihres sozialhilfe-, jugendhilfe- bzw. familienrechtlichen Grundes (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 29.6.2017, L 7 SO 2449/13, Rz. 25). Gleichwohl dürfte der praktische Anwendungsbereich der Regelung nach der Überführung der Vorschriften der Eingliederungshilfe in den Teil 2 des SGB IX (§§ 90 ff. SGB IX) zum 1.1.2020 künftig erheblich eingeschränkt sein (vgl. auch Böttiger, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. (2020), § 107 Rz. 9).
2.2 Entsprechungsklausel für Zuständigkeit
Rz. 4
Als Rechtsfolge der Unterbringung in einer anderen Familie ordnet § 107 zunächst an, dass § 98 Abs. 2 (örtliche Zuständigkeit) entsprechend gilt. Die Vorschrift enthält damit – schon dem Wortlaut nach – eine Kompetenzregelung und ist nicht etwa wegen der systematischen Stellung im Kapitel 13 (Kosten) auf die Kostenerstattung beschränkt (so aber Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, 6. Aufl. (2018), SGB XII, § 107 Rz. 7, wonach der Träger, in dessen Zuständigkeitsbereich der gewöhnliche Aufenthalt liegt, erstattungspflichtig, aber nicht für die Leistung zuständig werde). Für die hier vertretene Ansicht sprechen entscheidend auch Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn das Regelungsziel besteht in der Vermeidung von Kostenerstattungsfällen. Dieses soll erreicht werden, indem Zuständigkeit und Kostentragungspflicht in einer Hand sind: Derjenige ist nach § 98 Abs. 2 Satz 1 bzw. 2 für die Leistung zuständig, der auch die Kosten zu tragen hat. Wäre demgegenüber für die Leistung der Sozialhilfeträger am tatsächlichen Aufenthaltsort nach § 98 Abs. 1 zuständig und würde § 107 nur die Kostenerstattung entsprechend § 106 regeln, also zulasten des Sozialhilfeträgers am Herkunftsort, so würde eine Vielzahl von Kostenerstattungsfällen produziert, da dann Zuständigkeits- und Kostenerstattungsregelung auseinanderfielen (BVerwG, Urteil v. 17.3.2003, 5 C 14/02; VGH Bayern, Beschluss v. 2.8.2001, 12 B 98.763).
Rz. 5
Im Falle der Familienpflege ist nach ...