2.1 Begriff und Rechtsstellung der sozial erfahrenen Dritten
Rz. 6
Beim Begriff der sozial erfahrenen Dritten handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der der Nachprüfung durch das Gericht unterliegt. Eine formale Qualifikation im Sinne eines bestimmten Berufsabschlusses fordert das Gesetz nicht. Allerdings nennt es im Sinne von Regelbeispielen ("insbesondere") die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die Bedürftige betreut (d. h., nicht unbedingt eines Verbands der freien Wohlfahrtspflege) oder die Herkunft aus einer Vereinigung von Sozialleistungsempfängern – also der Betroffenen – als besonderes Eignungsmerkmal. Die sozial erfahrenen Personen können zugleich in ihrer Eigenschaft als Beteiligte nach § 116 und als Angehörige eines anderen die Widerspruchsbehörde beratenden Gremiums tätig werden, sofern dieses keine andere Zielsetzung hat und nicht an Weisungen gebunden ist. Gehören dem Gremium neben sozial erfahrenen Dritten auch sonstige Mitglieder an, muss gewährleistet sein, dass die Widerspruchsbehörde die Auffassung der sozial erfahrenen Dritten erfährt (OVG Lüneburg, FEVS 21 S. 367).
Die sozial erfahrenen Dritten haben im Widerspruchsverfahren, wenn sie von der entscheidenden Stelle herangezogen werden, eine dem Sachverständigen vergleichbare Stellung (grundsätzlich dazu Gutachten des DV, NDV 1987 S. 156).
Rz. 7
Wie viele und auf welche Art (mündliche Anhörung, schriftliches Verfahren etc.) derartige Dritte jeweils hinzugezogen werden, liegt im Ermessen der Behörde, die die Verwaltungsvorschrift erlässt oder den Widerspruch bescheidet. Nach dem den Plural verwendenden (und insoweit eindeutigen) Wortlaut des Gesetzes sind mindestens zwei sozial erfahrene Dritte erforderlich (a. A. BVerwG, Urteil v. 25.11.1993, 5 C 8/90 zu § 114 BSHG: eine Person soll ausreichend sein; offenlassend: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.6.2015, L 20 SO 103/13, Rz. 49). Die Auswahl obliegt gemäß § 116 der entscheidenden Stelle. Gehören einem Ausschuss mehrere Mitglieder an, müssen alle Mitglieder mitwirken.
Rz. 8
Während Abs. 1 die Anhörung sozial erfahrener Dritter vor dem Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften als abstrakt-generelle Regelungen regelt, normiert Abs. 2 die beratende Beteiligung sozial erfahrener Dritter in einem konkreten Verwaltungsverfahren, und zwar vor der Bekanntgabe einer konkret-individuellen Regelung (vgl. Blüggel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., Stand: 1.2.2020, § 116 Rz. 8f.).
2.2 Beteiligung sozial erfahrener Dritter nach Abs. 1
Rz. 9
Unter Verwaltungsvorschriften versteht man Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen allgemeine, verbindliche Anweisungen an die nachgeordnete Behörde enthalten. Auf die Bezeichnung (etwa als Anhaltspunkte, Erlasse, Durchführungsbestimmungen oder Richtlinien) kommt es nicht an (näher Mrozynski, SGB I, 6. Aufl. 2019, § 31 Rz. 7 ff.).
Rz. 10
Die Fehlerhaftigkeit der allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die unter Verletzung von § 116 Abs. 1 erlassen wurden, hat nicht zur Folge, dass auf ihnen beruhende Verwaltungsakte nichtig wären. Vielmehr beurteilt sich ihre Rechtmäßigkeit allein nach materiellem Recht. Für die Gerichte sind derartige Verwaltungsvorschriften ohnehin nicht unmittelbar, sondern allenfalls über Art. 3 Abs. 1 GG von Belang und sind in diesem Rahmen daraufhin zu überprüfen, ob ihnen eine fehlerhafte Ermessensausübung innewohnt (BVerwG, Urteil v. 16.12.1970, VI C 48.69).
2.3 Beteiligung sozial erfahrener Dritter nach Abs. 2
Rz. 11
Zu den in Abs. 2 genannten Arten von Verwaltungsakten, an denen sozial erfahrene Dritten zu beteiligen sind, gehören außer den Bescheiden über einen Widerspruch gegen die Ablehnung der Sozialhilfe auch Entscheidungen über Widersprüche gegen ihre Art und Höhe. Unter "Ablehnung der Sozialhilfe" fällt nicht nur der negative Erstbescheid, sondern auch die Einstellung oder Rücknahme bisher gewährter Hilfe, da die Aufhebung der Sache nach die nachträgliche Ablehnung der Hilfegewährung einschließt (BVerwG, Urteil v. 11.10.1984, 5 C 144/83). Folglich sind sozial erfahrene Dritte vor Erlass eines Widerspruchsbescheides beratend zu beteiligen, unabhängig davon, ob es um den Widerspruch gegen eine versagende oder die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes geht. Gleiches gilt, wenn ein Eigenanteil festgesetzt wird, denn damit wird über die Höhe der Leistung entschieden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Eigenanteil von vorneherein durch Abzug vorhandenen Einkommens bzw. durch den Einsatz von Mitteln nach dem Elften Kapitel oder nachträglich in Form von Aufwendungsersatz oder eines Kostenbeitrages gemäß § 27 Abs. 3 erhoben wird (BayVGH, FEVS 16 S. 60; Schoch, a. a. O., S. 627; a. A. Zeitler, in: Mergler/Zink, SGB XII, Stand Mai 2017, § 116 Rz. 17). Auch bei verfahrensbegleitenden Bescheiden (d. h. solchen, die im sachlichen Zusammenhang mit dem Ausgangsbescheid stehen, ohne ihn i. S. d. § 96 SGG inhaltlich abzuändern oder aufzuheben) während eines Widerspruchs- und Klageverfahrens ist es grundsätzlich erforderlich, sozial erfahrene Dritte (erneut) zu hören (BVerwG, Urteil v. 19.1.1972, V C 10.71). Gegenstand des...