0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift trat mit Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) – wie das gesamte SGB XII – zum 1.1.2005 in Kraft und gilt seitdem unverändert fort (zu den Gesetzesmaterialien vgl. BT-Drs. 15/1514). Eine Parallelvorschrift existiert nicht, insbesondere kennt das SGB II keine vergleichbare Regelung (vgl. hierzu Richter, Ehrenamtliche Beteiligung im Widerspruchsverfahren der Grundsicherung für Arbeitsuchende – Bestandsaufnahme und Erfahrungen aus der Praxis, 2018). § 116 ist Teil der im Vierzehnten Kapitel des SGB XII getroffenen Verfahrensbestimmungen, die den allgemeinen Vorschriften nach dem SGB X vorgehen (§ 37 SGB I).
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift übertrug im Wesentlichen inhaltsgleich den bisherigen § 114 BSHG. Gestrichen ist die Beteiligung Dritter bei der Festsetzung der Regelsätze. Die Ersetzung des Wortes "Personen" durch "Dritte" stellt klar, dass es sich um Dritte i. S. d. § 78 SGB X handelt und damit das Sozialgeheimnis nach § 35 SGB I auch von ihnen zu beachten ist.
Rz. 3
Die Anhörung vor Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften wird in der Praxis zum Teil als überflüssig angesehen und findet daher häufig nicht statt (Schoch, ZfSH/SGB 1995 S. 569). Es sind umfangreiche Vorschläge für Verbesserungen gemacht worden (vgl. Frings, ZfF 1993 S. 5, 8; Lüttkenhorst, TuP 1993 S. 421; Schoch, ZfSH/SGB 1995 S. 569; Stahlmann, ZfSH/SGB 1989 S. 505), die der Gesetzgeber indes nicht aufgegriffen hat.
Rz. 4
Landesrecht kann die Beteiligung Dritter anders regeln oder ganz von ihr absehen. Das gilt auch für die Beteiligung Dritter vor Erlass eines Verwaltungsakts über einen Widerspruch i. S. d. Abs. 2. Soweit keine landesrechtlichen Bestimmungen ergangen sind, gilt § 116 unmittelbar (Schoch, Beteiligung sozial erfahrener Dritter – § 116 SGB XII -: Länderregelungen, ZfF 2006 S. 175).
Rz. 5
Die Beteiligung hat einen zweifachen Zweck, nämlich zum einen die Optimierung der behördlichen Entscheidung durch Einbindung von zusätzlichem Sachverstand und der Möglichkeit einer Fehlerkorrektur, sowohl bei der allgemeinen Gesetzesanwendung (Abs. 1) als auch im Rahmen eines konkreten Verwaltungsverfahrens (Abs. 2), und zum anderen den Interessenschutz der Leistungsberechtigten (Schoch, Sozialhilfe, 3. Aufl. 2001 S. 630). Die praktische Relevanz ist insbesondere aufgrund abweichenden Landesrechts gering. Aus diesem Grund sowie unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung wird rechtspolitisch die Abschaffung der Regelung diskutiert (vgl. Conradis, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 116 Rz. 23).
2 Rechtspraxis
2.1 Begriff und Rechtsstellung der sozial erfahrenen Dritten
Rz. 6
Beim Begriff der sozial erfahrenen Dritten handelt es sich um einen unbestimmten Gesetzesbegriff, der der Nachprüfung durch das Gericht unterliegt. Eine formale Qualifikation im Sinne eines bestimmten Berufsabschlusses fordert das Gesetz nicht. Allerdings nennt es im Sinne von Regelbeispielen ("insbesondere") die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die Bedürftige betreut (d. h., nicht unbedingt eines Verbands der freien Wohlfahrtspflege) oder die Herkunft aus einer Vereinigung von Sozialleistungsempfängern – also der Betroffenen – als besonderes Eignungsmerkmal. Die sozial erfahrenen Personen können zugleich in ihrer Eigenschaft als Beteiligte nach § 116 und als Angehörige eines anderen die Widerspruchsbehörde beratenden Gremiums tätig werden, sofern dieses keine andere Zielsetzung hat und nicht an Weisungen gebunden ist. Gehören dem Gremium neben sozial erfahrenen Dritten auch sonstige Mitglieder an, muss gewährleistet sein, dass die Widerspruchsbehörde die Auffassung der sozial erfahrenen Dritten erfährt (OVG Lüneburg, FEVS 21 S. 367).
Die sozial erfahrenen Dritten haben im Widerspruchsverfahren, wenn sie von der entscheidenden Stelle herangezogen werden, eine dem Sachverständigen vergleichbare Stellung (grundsätzlich dazu Gutachten des DV, NDV 1987 S. 156).
Rz. 7
Wie viele und auf welche Art (mündliche Anhörung, schriftliches Verfahren etc.) derartige Dritte jeweils hinzugezogen werden, liegt im Ermessen der Behörde, die die Verwaltungsvorschrift erlässt oder den Widerspruch bescheidet. Nach dem den Plural verwendenden (und insoweit eindeutigen) Wortlaut des Gesetzes sind mindestens zwei sozial erfahrene Dritte erforderlich (a. A. BVerwG, Urteil v. 25.11.1993, 5 C 8/90 zu § 114 BSHG: eine Person soll ausreichend sein; offenlassend: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.6.2015, L 20 SO 103/13, Rz. 49). Die Auswahl obliegt gemäß § 116 der entscheidenden Stelle. Gehören einem Ausschuss mehrere Mitglieder an, müssen alle Mitglieder mitwirken.
Rz. 8
Während Abs. 1 die Anhörung sozial erfahrener Dritter vor dem Erlass von allgemeinen Verwaltungsvorschriften als abstrakt-generelle Regelungen regelt, normiert Abs. 2 die beratende Beteiligung sozial erfahrener Dritter in einem konkreten Verwaltungsverfahren, und zwar vor der Bekanntgabe einer konkret-individuellen Regelung (vgl. Blüggel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., Sta...