Rz. 59
Die Unterscheidung in Muss-, Soll- und Kann-Leistungen spiegelt sich im gerichtlichen Rechtsschutzsystem wider.
Rz. 60
Zuständig für den gerichtlichen Rechtsschutz sind für Klagen, die ab dem 1.1.2005 erhoben werden, die Sozialgerichte (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG i.d.F 7. SGGÄndG). Das gerichtliche Verfahren richtet sich daher nach den Bestimmungen des SGG.
Rz. 61
Soweit ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht und der Erlass eines sie bewilligenden Verwaltungsaktes begehrt wird, ohne dass es noch einer Ermessensentscheidung des Sozialhilfeträgers bedarf, ist die richtige Klageart die Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. SGG; regelmäßig in Form der die Aufhebung des entgegenstehenden Verwaltungsaktes mit umfassenden Vornahmeklage) als Unterfall der Leistungsklage. Besteht hingegen ein Rechtsanspruch unmittelbar auf die Leistung, ist die Verpflichtungsklage unzulässig und grundsätzlich die kombinierte (unechte) Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG die richtige Klageart (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 6, 20a). Die allgemeine (echte) Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) scheidet dagegen regelmäßig aus, weil auch bei Muss-Leistungen eine konkrete Einzelfallentscheidung des Trägers in Gestalt eines Verwaltungsaktes ergehen muss. Allerdings kann der Leistungsempfänger mit der Bewilligung der Leistung zugleich die Leistung selbst verlangen, d. h. Verpflichtungs- und Leistungsklage im Wege der sog. objektiven Klagehäufung kombinieren (§ 54 Abs. 4 SGG).
Rz. 62
Dies kommt bei Muss-Leistungen allerdings nur dann in Betracht, wenn nicht nur hinsichtlich des "Ob", sondern auch hinsichtlich des "Wie" kein Ermessensspielraum der Behörde besteht. Hat demgegenüber der Leistungsempfänger zwar einen Anspruch auf die Leistung, liegt deren konkrete Ausgestaltung aber noch im Ermessen der Behörde, so wird eine Leistungsklage auf unmittelbare Gewährung ausscheiden. Gleichwohl ist der Leistungsempfänger in diesem Fall nicht auf die Erhebung einer Bescheidungsklage beschränkt. Vielmehr kann er die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Leistung durch ein Grundurteil erstreiten (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG), wobei das Sozialgericht im Urteil auch eine vorläufige Leistungspflicht anordnen kann (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGG). Das Recht der Behörde zur näheren Ausgestaltung des Leistungsanspruchs nach pflichtmäßigem Ermessen kann in diesem Fall z. B. dadurch zum Ausdruck kommen, dass sie verpflichtet wird, die Leistung "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen" zu gewähren.
Rz. 63
Im einen wie im anderen Fall spricht das Gericht im Urteil die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers aus, den beantragten Bescheid zu erlassen (§ 131 Abs. 2 SGG).
Rz. 64
Wird mit der Klage der Erlass eines Ermessensverwaltungsaktes begehrt, ist stets die Verpflichtungsklage in Form der Bescheidungsklage die richtige Klageart (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a. a. O., § 54 Rz. 20b, 25). Diese zielt auf eine Neubescheidung des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts ab. Steht der Behörde also auch hinsichtlich der Leistung dem Grunde nach ein Ermessensspielraum zu (Soll- oder Kann-Leistung), so kommt ein Verpflichtungsurteil i. S. d. § 131 Abs. 2 nicht in Betracht. Der Leistungsempfänger ist gleichwohl nicht schutzlos. Vielmehr ist er auch dann beschwert, wenn die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Mit dieser Formulierung greift der Gesetzgeber die Vorschrift des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I auf. Klageantrag (und ggf. Urteilstenor) lauten in diesem Fall auf die Verpflichtung des beklagten Sozialhilfeträgers, den Leistungsempfänger "unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden" (§ 131 Abs. 3 SGG).
Rz. 65
In allen Fällen hat der Klageerhebung grundsätzlich ein Widerspruchsverfahren vorauszugehen (§ 78 Abs. 1, 3 SGG), das dem Sozialhilfeträger Gelegenheit gibt, seine Entscheidung vor einer gerichtlichen Kontrolle zu überprüfen. Der Widerspruch ist innerhalb einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des Ausgangsbescheides zu erheben (§ 84 Abs. 1 Satz 1 SGG). Wird er für begründet erachtet, so ist ihm abzuhelfen (§ 85 Abs. 1 SGG). Sonst ist ein Widerspruchsbescheid zu erlassen (§ 85 Abs. 2, 3 SGG).
Rz. 66
Eine Besonderheit im Verhältnis zum verwaltungsgerichtlichen Verfahren besteht dabei darin, dass Bescheide, die den ursprünglichen Verwaltungsakt während des Widerspruchsverfahrens ändern, kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung zum Gegenstand des Vorverfahrens werden (§ 86 SGG). Dabei wird von einer analogen Anwendbarkeit von § 86 SGG in Fällen ausgegangen, in denen der Folgebescheid den ursprünglichen Bescheid nicht lediglich – wie § 86 verlangt – abändern, sondern vollständig ersetzen (Breitkreuz, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, Kommentar, 2 Aufl., § 86 Rz. 5). Eine entsprechende Vorschr...