Rz. 24
Wer "Träger der Sozialhilfe" ist, ergibt sich im Einzelnen aus §§ 3, 97 ff. und ist abhängig von der jeweiligen begehrten Leistung sowie der Ausgestaltung nach Landesrecht. Träger i. S. d. Abs. 1 ist nicht etwa die einzelne Dienststelle oder gar der konkrete Sachbearbeiter, sondern die gesamte Körperschaft, also z. B. die kreisfreie Stadt oder der Landkreis – sog. Grundsatz der Einheit der Verwaltung (vgl. dazu auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 12.1.2011, L 20 SO 569/10 B m. w. N.; Dauber, in Mergler/Zink, SGB XII, § 18 Rz. 10). Daher liegt Kenntnis von den Leistungsvoraussetzungen auch dann vor, wenn nicht im Sozialamt, sondern z. B. im Ausländeramt oder im Amt für Wohnungswesen die Notwendigkeit des Hilfebedarfs erkannt wird. Erst recht gilt dies für die nach dem SGB II zuständigen Stellen. Dabei muss die Kenntnisnahme nicht zwingend im Zusammenhang mit einem anderweitigen Leistungsgeschehen erfolgen. Vielmehr kann auch z. B. das Tätigwerden der Verwaltung im Zusammenhang mit einem Strafverfahren (etwa der Jugendgerichtshilfe nach § 38 JGG) ausreichen, die erforderliche Kenntnis von den Leistungsvoraussetzungen zu verschaffen.
Rz. 25
Verfehlt ist demgegenüber die Auffassung, Gründe des Datenschutzes geböten es, nicht auf den Träger insgesamt, sondern nur auf die für die Gewährung der Sozialhilfe jeweils zuständige Stelle abzuheben (vgl. hierzu SG Frankfurt, Urteil v. 27.9.2013, S 30 SO 138/11). Der Datenschutz, in Sonderheit der Sozialdatenschutz, dient dem Schutz des Berechtigten, soll aber nicht dazu führen, dass ihm eine notwendige Leistung vorenthalten bleibt.
Rz. 26
Die Feststellung, welcher Träger in diesem Sinne zuständig ist, hat für den Beginn der Leistungsverpflichtung durch Abs. 2 Satz 1 wesentlich an Bedeutung verloren. Danach sind nämlich auch die nicht zuständigen Sozialhilfeträger und Gemeinden verpflichtet, die ihnen bekannten Umstände über den Sozialhilfeanspruch dem zuständigen Träger der Sozialhilfe oder der von ihm beauftragten Stelle mitzuteilen und vorhandene Unterlagen zu übersenden. Das Übermittlungsrisiko geht dabei nicht zulasten des Leistungsberechtigten, weil es nach Abs. 2 Satz 2 für das Einsetzen der Sozialhilfe auf die Kenntnis der unzuständigen Stelle ankommt.
Rz. 27
Allerdings sind die Voraussetzungen nach Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 nicht identisch. Zum einen verlangt Abs. 2 von dem unzuständigen Träger bzw. der nicht zuständigen Gemeinde keine eigenen Ermittlungen von Amts wegen. Vielmehr erschöpft sich ihre Verpflichtung darin, die ohnedies (z. B. im Zusammenhang mit einem anderen Verwaltungsverfahren) gewonnenen Erkenntnisse dem zuständigen Träger mitzuteilen und die diesbezüglich vorhandenen Unterlagen zu übersenden. Überdies ist nach dem Wortlaut erforderlich, dass Sozialhilfe "beansprucht" wird. Das heißt zwar nicht, dass nur der im Wege des Antrags nach § 16 SGB I geltend gemachte Sozialhilfeanspruch die Verpflichtung nach Abs. 2 auslöst. Es muss aber andererseits zumindest das Begehren nach Sozialhilfe in irgendeiner Weise an den unzuständigen Träger herangetragen worden sein. Ausreichend ist grundsätzlich das Bekanntwerden einer Notsituation, da bei Vorliegen einer solchen regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass Sozialhilfe beansprucht wird.
Rz. 28
Unverzüglich i. S. v. Abs. 2 Satz 2 heißt ebenso wie in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB "ohne schuldhaftes Zögern". Das signalisiert, dass es sich bei der Mitteilungs- und Übersendungspflicht nach Abs. 2 um eine Amtspflicht handelt, deren Verletzung den Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 3 GG auslösen kann. Zur Vermeidung einer derartigen Inanspruchnahme sollte der zuständige Träger auch bei formloser Abgabe des Vorgangs an den zuständigen Träger den entsprechenden Zeitpunkt hinreichend verlässlich dokumentieren.
Rz. 29
Die Mitteilung und Übersendung der Unterlagen an den für zuständig erachteten Träger bindet diesen nicht (anders z. B. als im Fall der gerichtlichen Verweisung; vgl. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Unter Umständen besteht daher die Notwendigkeit der (erneuten) Weitergabe an den tatsächlich zuständigen Träger. Hierdurch entstehende Verzögerungen gehen ebenfalls nicht zu Lasten des Hilfeempfängers. Aus diesem Grund sollte der erste Träger den Empfänger der Abgabe ausdrücklich bitten, das Begehren an den Träger weiterzuleiten, den er ggf. für zuständig hält. Bei Leistungen zur Teilhabe sind die Besonderheiten des § 14 SGB IX zu beachten.
Rz. 30
Absatz 2 ist allerdings in den Fällen nicht anwendbar, in denen die Kenntnis von der Notlage nicht bei einem der in Abs. 2 genannten Träger (unzuständige Sozialhilfeträger oder Gemeinden), sondern bei einem anderen Sozialleistungsträger (z. B. Agentur für Arbeit, Kranken- oder Pflegekasse) besteht (s. dazu auch Dauber, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 18 Rz. 24). In diesen Fällen kann nur § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I weiterhelfen. Danach gilt bei antragsabhängigen Sozialleistungen der Antrag zu dem Zeitpunkt gestellt, zu dem...