Rz. 3

Die in der Vorschrift vorgenommene Aufzählung ist nicht abschließend zu verstehen, wie schon die Gesetzesbegründung ausführt und durch die Verwendung der Worte "vor allem" im Gesetzestext betont wird.

Die Nennung des Einsatzes der Arbeitskraft macht allerdings deutlich, wie sehr sich die Blickrichtung des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Sozialhilferechts gegenüber dem früheren BSHG verändert hat. Die Betonung der Arbeitskraft im SGB XII ist eigentlich schon systemwidrig (Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 2 Rz. 11), weil alle erwerbsfähigen Leistungsberechtigten seit dem 1.1.2005 dem SGB II zugeordnet worden sind. Im SGB XII finden sich gerade nur noch solche Personen(-gruppen), die eigentlich dauerhaft an einer tatsächlichen Erwerbsfähigkeit gehindert sind. Diese Gruppen werden aber gerade nicht vom Gesetzgeber in § 2 besonders erwähnt bzw. fallen letztlich sogar durch die vorrangige Betonung der Arbeitskraft aus dem Raster heraus.

Bei der Anwendung und Auslegung des Gesetzes durch die Sozialhilfeträger (und in deren Folge durch die Gerichte), die ausschließlich vom Gedanken der Erwerbstätigkeit geprägt wäre, würden die eigentlich wichtigen Aufgaben der Sozialhilfe völlig aus dem Blick geraten.

Auch wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass auch Leistungsberechtigte nach dem SGB XII in einem bestimmten Rahmen Tätigkeiten aufnehmen können (§ 11 Abs. 2 – gesellschaftliches Engagement bzw. § 11 Abs. 3 – Tätigkeit), darf ein Sozialhilfeträger nicht von diesem Personenkreis wegen der Erwähnung des Begriffs "Arbeit" in § 2 einen Tätigkeitsumfang erwarten, der klassischerweise einer "Arbeit" oder typischen "Erwerbstätigkeit" entspricht. Dann wäre die betreffende Person wohl eher dem Bereich des SGB II zuzuordnen.

 

Rz. 4

Warum außer der Arbeitskraft an dieser Stelle auch noch das Einkommen und Vermögen eine besondere Hervorhebung erfahren bleibt unklar. Schließlich waren diese beiden Segmente auch bisher schon im BSHG von entscheidender Bedeutung. Insofern hat sich in der Anwendung des SGB XII auch nichts verändert.

Bei dem Verweis auf die Hilfe von Angehörigen und durch andere Sozialleistungsträger ist immer zu bedenken, dass dieser Verweis nur dann Bedeutung gewinnen kann, wenn tatsächlich die Hilfeleistungen von dieser Seite her ausreichend sind (Armborst, a. a. O., § 2 Rz. 12; Fichtner/Wenzel, a. a. O., § 2 Rz. 3). Der Gesetzestext spricht insoweit auch ausdrücklich davon, dass der Hilfesuchende die "erforderliche Leistung von anderen … erhält". Es wird gerade nicht geregelt, dass Sozialhilfe schon dann nicht gewährt wird, wenn der Betreffende die Leistung "erhalten könnte". Die Ansprüche müssen zudem auch wenigstens alsbald realisierbar sein (BVerwGE 21 S. 208, 212; 67 S. 163, 166). Es muss sich um sog. bereite Mittel handeln, die auch tatsächlich zur Verfügung stehen (Freitag, a. a. O., S. 33; Schellhorn/Jurasek/Seipp, a. a. O., § 2 Rz. 8; Schlegel/Voelzke, a. a. O., § 2 Rz. 10). Man spricht hier auch vom sog. Faktizitätsprinzip (Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 2 Rz. 19 ff.).

Ein Sozialhilfeträger darf mithin nicht auf solche Ansprüche "verweisen", die vom Leistungsberechtigten gar nicht realistisch – und vor allem zeitnah – durchgesetzt werden können, entweder weil die Angehörigen z. B. selbst sozialhilfebedürftig sind oder weil ein anderer Sozialleistungsträger schon die Bereitschaft zur Hilfeleistung definitiv verweigert hat.

Die Praxis zeigt leider immer noch, dass Sozialhilfeträger mit einem völlig unrichtigen Verständnis dieser Nachrangregelung Leistungen verweigern und so hilfesuchende Leistungsberechtigte ihrem Schicksal überlassen.

 

Rz. 5

Nur wenn Angehörige oder Dritte tatsächlich bereit und in der Lage sind, dem Hilfesuchenden Leistungen zukommen zu lassen, darf auf diese Möglichkeit der Selbsthilfe vom Sozialhilfeträger verwiesen werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass es für die Ablehnung von Sozialhilfeansprüchen eben nicht ausreicht, wenn zwar ein Anspruch auf eine vorrangige Leistung gegen einen Dritten gegeben ist, dieser Anspruch tatsächlich aber nicht realisierbar ist. Hier muss der Sozialhilfeträger in Vorleistung gehen und hat dann ggf. einen Erstattungsanspruch. Weiter ist erforderlich, dass die benötigten Mittel auch im Zeitpunkt des bestehenden und aktuell noch nicht befriedigten Bedarfs tatsächlich zur Verfügung stehen – Grundsatz der Zeitidentität (Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 2 Rz. 22, 30; Dauber, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 2 Rz. 15 f.; Armborst, a. a. O., § 2 Rz. 15).

 

Rz. 5a

Werden Leistungen von anderen Stellen/Personen/Institutionen an Hilfebedürftige erbracht, auf die eigentlich kein Anspruch besteht und die die eigentliche Notlage beheben, dann werden auf der Basis des Bedarfsdeckungsprinzips und des Nachranggrundsatzes Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII für diesen Bedarfsbereich ausgeschlossen (Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 2 Rz. 35). Erbringt also z. B. ein Arzt bei einem Wohnungslosen eine medizinische Leistung, auf die der Wohnungslose gemäß § 48 eigentlich einen Rech...

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