Rz. 15
Ausnahmsweise kommt eine Gewährung von Sozialhilfe an Deutsche mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland dann in Betracht, wenn dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar, d. h. zwingend notwendig, ist, und ein Rückkehrhindernis besteht.
Rz. 16
Der Begriff der "außergewöhnlichen Notlage" ähnelt dem des "besonderen Notfalls" i. S. v. § 119 Abs. 1 BSHG. Dass der Gesetzgeber die Begriffe "außergewöhnlich" und "besonders" synonym benutzt, ergibt sich bereits daraus, dass im Gesetz von "außergewöhnlich", in der amtlichen Begründung hingegen von "besonders" die Rede ist (BT-Drs. 15/1761 S. 6). Allerdings verlangt die Kommentarliteratur (Bieback, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 24 Rz. 17 unter Verweis auf LSG Bayern, Beschluss v. 8.9.2009, L 18 SO 119/09 B ER; Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, a. a. O., § 24 Rz. 9 f.), dass die außergewöhnliche Notlage zu einer nicht unerheblichen Gefährdung existenzieller Rechtsgüter geführt haben muss. Mit der Wendung "Notlage" wird akzentuiert, dass durch den Notfall auch eine sozialhilferechtliche Bedarfslage ausgelöst worden sein muss.
Rz. 16a
Bei der Auslegung des unbestimmten und damit gerichtlich voll überprüfbaren Rechtsbegriffs einer außergewöhnlichen Notlage i. S. d. § 24 Abs. 1 Satz 2 ist zu beachten, dass nur das Vorliegen einer besonderen Notlage nicht ausreicht, um die Leistungsgewährung zu rechtfertigen. Es ist ein strenger Maßstab anzulegen. Erforderlich ist, dass bei Leistungsversagung die Gefahr einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung existenzieller Rechtsgüter des Hilfesuchenden droht. Insoweit kann eine außergewöhnliche Notlage angenommen werden, wenn der mittellose Betroffene gesundheitsbedingt außerstande ist, im Ausland für seinen Lebensunterhalt aufzukommen oder die ernsthafte Gefahr des Abgleitens in das Milieu der Nichtsesshaften besteht (LSG Bayern, Beschluss v. 8.9.2009, a. a. O.). Eine außergewöhnliche Notlage ist nur dann gegeben, wenn ohne die Hilfeleistung den im Ausland lebenden Deutschen eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung existenzieller Rechtsgüter droht, mithin Leben, Gesundheit oder sonstige elementare Grundvoraussetzungen der menschlichen Existenz (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art 2 Abs. 1 und 2 GG) unmittelbar gefährdet sind (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 21.12.2005, L 7 SO 4166/05 ER-B, FEVS 57 S. 406; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse v. 6.2.2006, L 20 B 50/05 SO ER, und v. 2.3.2007, L 20 B B 119/06 SO ER). Sie liegt nicht vor, wenn die Übernahme von Bestattungskosten von einem Hilfebedürftigen im Ausland begehrt wird (LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.10.2013, L 2 SO 3798/12).
Rz. 17
Zwecks Konkretisierung des unbestimmten, gerichtlich aber in vollem Umfang überprüfbaren, Rechtsbegriffs "außergewöhnliche Notlage" kann daher auf die Rechtsprechung zu § 119 BSHG zurückgegriffen werden. Danach liegt eine außergewöhnliche Notlage in der Regel dann vor, wenn ohne die Hilfeleistung unmittelbare Gefahr für Leben oder Gesundheit besteht, der anders als durch Hilfegewährung im Ausland nicht zumutbar begegnet werden kann (BVerwG, Urteil v. 5.6.1997, 5 C 17/96, FEVS 48 S. 98; Urteil v. 5.6.1997, 5 C 4/96, BVerwGE 105 S. 44; Urteil v. 5.6.1997, 5 C 3/97, ZfSH/SGB 1997 S. 736; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 13.4.1995, 8 B 2426/94, DVBl. 1995 S. 1194; BayVGH, Beschluss v. 18.12.1996, 12 CE 95.2728, FEVS 47 S. 388; OVG Lüneburg, Urteil v. 23.4.1997, 4 L 5793/96, NdsRpfl 1997 S. 2323; VG Kassel, Beschluss v. 23.8.1996, 5 G 2604/96 (3), NVwZ-RR 1997 S. 176). Ob die Notlage plötzlich und unvorhersehbar eintritt und innerhalb einer verhältnismäßig kurzen Zeitspanne wieder beseitigt werden kann, ist dagegen nach zutreffender Ansicht unerheblich (so ausdrücklich BVerwG, Urteil v. 5.6.1997, a. a. O.). Bei einer Gefährdung des physischen Existenzminimums – z. B. im Falle völliger Mittellosigkeit und fehlender Selbsthilfemöglichkeiten – wird regelmäßig das Vorliegen einer außergewöhnlichen Notlage anzunehmen sein (vgl. Coseriu, a. a. O., § 24 Rz. 26). Eine Gefährdung existenzieller Rechtsgüter hat das BVerwG (Urteil v. 5.6.1997, 5 C 4/96, a. a. O.) auch bei einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung des Rechts auf angemessene Schulbildung bejaht (a. A. Bieback, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 24 Rz. 19).