Rz. 21
Das Kind selbst muss aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen entweder an der Ausreise aus dem Aufenthaltsland oder an der Einreise ins Inland gehindert sein. Beim Hilfebedürftigen braucht ein entsprechender – objektiver – Hinderungsgrund nicht zu bestehen, es genügt vielmehr, dass dem Elternteil die Rückkehr wegen der damit verbundenen Trennung von seinem Kind unzumutbar ist (vgl. Bieback, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 24 Rz. 22). Allein die Pflege und Erziehung reicht also nicht aus, wie bereits der Wortlaut erkennen lässt. Es muss der rechtliche Grund als Rückkehrhindernis hinzutreten. Dabei kann es sich um die Aufenthaltsbestimmung durch den Sorgerechtsinhaber handeln. Nur dann, wenn beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen gegeben. Eine analoge Anwendung der Vorschrift wird in Betracht gezogen im Falle eines vom Wortlaut nicht erfassten deutschen Kindes, das bei seinem nichtdeutschen Elternteil lebt (vgl. Baur, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 24 Rz. 22; Schlette, in: Hauck/Noftz, a. a. O., § 24 Rz. 29; Bieback, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 24 Rz. 22).
Rz. 22
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 greife nicht ein, wenn der andere Elternteil die Pflege/Erziehung übernehmen könne (so Adolph, in: Linhart/Adolph, a. a. O., § 24 Rz. 41), ist dem nicht zu folgen. Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 ist Ausprägung des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie aus Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. Coseriu, a. a. O., § 24 Rz. 34). Damit wäre der faktische Zwang der – möglicherweise dauerhaften – Trennung von Elternteil und Kind unvereinbar.
Rz. 23
Das Kind selbst kann sich für seinen Sozialhilfeanspruch nicht auf Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 berufen. Hier greifen vielmehr ggf. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 oder 3 ein (vgl. auch Adolph, in: Linhart/Adolph, a. a. O., § 24 Rz. 41).
Rz. 24
Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 nennt als weiteres Rückkehrhindernis die längerfristige stationäre Betreuung in einer Einrichtung oder die Schwere der Pflegebedürftigkeit. Nicht ausreichend ist damit allein das Vorliegen einer Erkrankung oder von Pflegebedürftigkeit an sich. Es müssen vielmehr im Einzelfall besondere objektive Rückkehrhindernisse hinzukommen. Hinsichtlich der Dauer der Betreuung muss eine zukunftsorientierte Prognose angestellt werden. Längerfristig ist der Aufenthalt jedenfalls dann, wenn zum Zeitpunkt der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen die Dauer des Aufenthalts nicht absehbar ist (Baur, in: Mergler/Zink, a. a. O., § 24 Rz. 23; Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, a. a. O., § 24 Rz. 17). Bei kurzfristigem Auslandsaufenthalt kommen Leistungen nach dem Konsulargesetz in Betracht.
Rz. 24a
Zur Frage des Rückkehrhindernisses der Schwere der Pflegebedürftigkeit ist nicht auf die im SGB XI festgelegten Pflegestufen abzustellen, sondern darauf, ob der Aufwand der erforderlichen Pflege eine Rückkehr nicht zulässt (BayLSG, Beschluss v. 8.9.2009, L 18 SO 119/09 B ER; LSG Sachsen, Beschluss v. 29.11.2010, L 7 SO 80/10 B ER; Coseriu, a. a. O., § 24 Rz. 40). Ein Hilfeempfänger, der sich seit mehr als einem Jahr aufgrund einer Klimatherapie im Ausland aufhält, sich nicht in stationärer Betreuung befindet und als Schwerbehinderter lediglich in Pflegestufe I eingestuft ist, hat nach § 24 Abs. 1 i. V. m. § 41 Abs. 1 keinen Anspruch auf Sozialhilfe (HessLSG, Beschluss v. 4.4.2006, L 7 SO 12/06 ER, FEVS 58 S. 145).
Rz. 24b
Die Vorschrift des § 98 Abs. 1 Satz 1 ist Ausdruck des im Recht der Sozialhilfe geltenden Territorialitätsprinzips. Aus ihm folgt, dass – über § 24 hinausgehend – bereits bei tatsächlichem Aufenthalt im Ausland Leistungen nicht zu gewähren sind, wenn der sozialhilferechtliche Anspruch erst im Ausland entsteht (LSG Hamburg, Beschluss v. 15.6.2005, L 4 B 154/05 ER SO, FEVS 56 S. 509, im Anschluss an BVerwG, Urteil v. 22.12.1998, 5 C 21/97).
Rz. 25
Der Regelfall der hoheitlichen Gewalt (Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) ist die Inhaftierung (vgl. BT-Drs. 15/1761 S. 6). Ferner kommt in Betracht, dass dem Hilfesuchenden wegen eines Ermittlungsverfahrens die Ausreise verweigert wird. Nicht erfasst sind hingegen Fälle höherer Gewalt, wie Naturkatastrophen, die eine Rückkehr (zeitweise) unmöglich machen (vgl. Bieback, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 24 Rz. 24). Vorrangig vor Leistungen der Sozialhilfe sind in solchen Fällen Leistungen nach § 5 KonsG.
Rz. 26
Die objektive Beweislast sowohl für die außergewöhnliche Notlage als auch das Rückkehrhindernis liegt beim Hilfebedürftigen (vgl. Adolph, in: Linhart/Adolph, a. a. O., § 24 Rz. 40). Umstritten ist, ob die im Gesetz normierte Nachweispflicht eine spezialgesetzliche Ausnahme vom ansonsten im Sozialhilferecht geltenden Amtsermittlungsgrundsatz nach § 20 SGB X ist (bejahend: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 26.2.006, L 20 B 50/05 SO ER; LSG Sachsen, Beschluss v. 29.11.2010, a. a. O.; LSG Bayern, Urteil v. 28.1.2014, L 8 SO 146/12; Bieback, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 24 Rz. 21; a. A. Coseriu, a. a. O., § 24 Rz. 42).