Rz. 32
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 10/3079 S. 5 zu Ziff. 2.1.4) ist Hintergrund für den Zuschlag der Umstand, dass Alleinerziehende aus unterschiedlichen Gründen wegen ihrer Lebenssituation höhere Aufwendungen haben. Diese ergeben sich insbesondere aus weniger zur Verfügung stehender Zeit zum preisbewussten Einkauf sowie höheren Kosten für Kontaktpflege und Information. Hinzu kommen allerdings auch noch Kosten für die Organisation und die Erhaltung von Fremdbetreuungen (vgl. näher dazu Simon, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 2.3.2023, § 30 Rz. 75).
Rz. 33
Grundsätzlich richtet sich der Mehrbedarfszuschlag nach der Anzahl und dem Alter der betreuten Kinder. Entscheidend sind als Altersgrenzen die Vollendung des 7. bzw. des 16. Lebensjahres. Bei Betreuung eines Kindes unter 7 Jahren bzw. 2 oder 3 Kindern unter 16 Jahren beträgt der Mehrbedarfszuschlag 36 %; im Übrigen für jedes Kind 12 %. Die Einzelheiten ergeben sich aus dem Gesetzeswortlaut. Ein Mehrbedarfszuschlag über 60 % wird nicht gewährt (§ 30 Abs. 3 a. E.). Die mögliche Spanne der Mehrbedarfszuschläge wegen Alleinerziehung reicht damit von 12 % (bei dem Zusammenleben mit einem Kind unter 7 Jahren) bis 60 % (bei dem Zusammenleben mit mehr als 4 minderjährigen Kindern). Bezugspunkt für den Ansatz des Zuschlages ist immer die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 (bis zum 31.12.2010 der Eckregelsatz nach §§ 2 und 3 Abs. 1 der bis dahin geltenden Verordnung zu § 40 SGB XII – Regelsatzverordnung).
Rz. 34
Abweichend zur Rechtslage nach dem BSHG fallen jetzt Minderjährige, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, wegen Abs. 2 Nr. 2 nicht zwingend aus der Gewährung des Mehrbedarfszuschlages heraus. Wird beispielsweise ein 17-jähriges Kind allein oder gemeinsam mit einem 13-Jährigen betreut, beträgt der Mehrbedarfszuschlag 12 % bzw. 24 %. Dies war früher anders. Nach § 23 Abs. 2 BSHG hätte in diesen Fällen kein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfszuschlages bestanden. Darüber hinaus besteht keine Verpflichtung des Gesetzgebers unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG wie nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB volljährige Kinder, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sich jedoch noch in der allgemeinen Schulausbildung befinden, minderjährigen Kindern gleichzustellen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 28.10.2010, L 5 AS 1357/10 B PKH Rz. 8).
Rz. 35
Im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut führt allein eine Erhöhung der Anzahl der Kinder nicht zu der automatischen Annahme eines abweichenden Bedarfs i. S. v. Abs. 3 HS 2. Ein Berechtigter, der 3 Kinder unter 7 Jahren erzieht, hat damit nicht automatisch Anspruch auf einen höheren Mehrbedarfszuschlag als ein Berechtigter, der nur ein Kind unter 7 Jahren erzieht (vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 27.3.1991, 4 L 227/89 zu § 23 Abs. 2 BSHG; skeptisch: Simon, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 2.3.2023, § 30 Rz. 89). Der Aufbau der Mehrbedarfsregelung ist insoweit irreführend, als die Nr. 1 eine Spezialregelung zu der Grundregel in Nr. 2 enthält (v. Boetticher, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thies, LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 30 Rz. 21). Da die Mehrbedarfszuschläge in den beiden Ziffern alternativ und nicht additiv sind, ist bei der Berechnung des Mehrbedarfs zunächst zu prüfen, ob die spezielleren Voraussetzungen der Nr. 1 erfüllt sind. Es kann auch zu Überschneidungen zwischen den Anwendungsbereichen der Nr. 1 und 2 kommen, die i. S. d. Günstigkeitsprinzips zu lösen sind, wonach § 30 Abs. 3 Nr. 2 nur angewendet wird, wenn dies zu einem günstigeren Ergebnis führt (vgl. Simon, a. a. O.). So bleibt es bei dem Mehrbedarfszuschlag von 36 % auch dann, wenn neben einem Kind unter 7 Jahren in dem Haushalt etwa ein noch 13-jähriges Kind lebt. Anderseits beträgt der Zuschlag 48 %, wenn neben einem 6-jährigen Kind 3 weitere (minderjährige) Kinder in dem Haushalt leben. Dies ist in § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II ausdrücklich normiert, gilt im Rahmen des § 30 Abs. 3 jedoch ebenfalls (wie hier Simon, a. a. O.).