Rz. 37
Personen haben, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender (individueller) Bedarfs besteht, nach Vollendung des 15. Lebensjahres einen Anspruch auf Gewährung eines (pauschalen) Mehrbedarfszuschlages in Höhe von 35 % für den Zeitraum, in dem ihnen Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 tatsächlich geleistet wird. Das bloße Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen für eine Leistung der Eingliederungshilfe reicht nicht aus (Sächs. LSG, Urteil v. 10.06.2015, L 8 SO 22/11 R Rz. 21; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 28.7.2008, L 20 SO 13/08 Rz. 74 m. w. N.; ebenso für den Bereich des § 21 Abs. 4 SGB II: BSG, Urteil v. 5.8.2015, B 4 AS 9/15 R Rz. 15, Urteil v. 22.3.2010, B 4 AS 59/09 Rz. 15, sowie Urteil v. 25.6.2008, B 11b AS 19/07 R Rz. 22). Voraussetzung für die Gewährung einer solchen Leistung ist wiederum, dass eine Behinderung i. S. v. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vorliegt oder der Betroffene von einer Behinderung bedroht ist (vgl. § 53 Abs. 1).
Rz. 38
Die Tätigkeit im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen (vgl. 41 SGB IX) ist keine Maßnahme der Eingliederungshilfe i. S. v. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 9 EinglH-VO, sodass hierfür auch kein Zuschlag nach Abs. 4 geleistet werden kann (vgl. auch Scheider, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 13 EinglH-VO Rz. 10; Mrozynski, ZFSH/SGB 2016, 299).
Rz. 39
Sinn und Zweck der Regelung ist es, die erhöhten Aufwendungen abzudecken, die Behinderten für die Inanspruchnahme der Eingliederungsmaßnahme entstehen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere an erhöhte bzw. häufiger anfallende Fahrtkosten, Kosten für Lehrmaterial usw. zu denken. Es ist daher die Ausschlussregelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 zu beachten (vgl. Rz. 6). Die Höhe des Zuschlages konnte seit dem 1.1.2011 geringer sein als zuvor und möglicherweise auch geringer als der vergleichbare Zuschlag nach § 21 Abs. 4 SGB II, wenn der Betroffene Leistungen nach Maßgabe der Regelbedarfsstufe 3 erhielt (vgl. zu der im Einzelnen kontrovers aufgenommenen Regelbedarfsstufe 3 auch die Komm. zu § 28). Durch die Entscheidungen des BSG v. 23.7.2014 (B 8 SO 14/13 und B 8 SO 31/12 R) und v. 24.2.2016 (B 8 SO 13/14 R Rz. 17) hat sich jedoch auch diese Folgeproblematik entschärft. Für die Zeit ab dem 1.1.2011 ist danach bei verfassungskonformer Auslegung des § 27a Abs. 3 i. V. m. der Anlage zu § 28 aufgrund gesetzlicher Vermutung (§ 39 Satz 1 HS 1) von einer gemeinsamen Haushaltsführung mit dem Elternteil auszugehen, so dass Leistungen für den Lebensunterhalt grundsätzlich nach der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren sind, es sei denn, dass ausnahmsweise keinerlei eigenständige oder nur eine gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorläge.
Rz. 40
Für die Zuerkennung des Mehrbedarfszuschlages ist entscheidend darauf abzustellen, ob eine Hilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 geleistet wird. Deswegen können auch Personen, die noch nicht behindert, aber von Behinderung bedroht sind (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX; § 53 Abs. 1 Satz 1), den Mehrbedarfszuschlag geltend machen. Denn für diesen Personenkreis ist der Bedarf aufgrund der Teilnahme an der Eingliederungsmaßnahme i. d. R. genauso erhöht wie für bereits behinderte Menschen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Abs. 5 (vgl. Rz. 38), der behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen getrennt nennt (so aber Scheider, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 42b Rz. 13; Wrackmeyer-Schoene, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 8. Aufl. 2024, § 30 Rz. 39; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, 2. EL 2024, Stand: 03/2023, § 30 Rz. 23; Simon, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, Stand: 2.3.2023, § 30 Rz. 92). Die zusätzliche Erwähnung der von Behinderung bedrohten Menschen in Abs. 5 ist als Klarstellung zu verstehen. In Abs. 5 geht es nämlich anders als in Abs. 4 um einen Mehrbedarf, der unmittelbar im Zusammenhang mit einer Gesundheitsstörung steht. Von daher versteht es sich nicht von allein, dass der Zuschlag dort auch dann in Anspruch genommen werden kann, wenn eine Beeinträchtigung erst zu erwarten ist.