Rz. 62
Bei der Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße, die sich nach der Zahl leistungsberechtigter Personen mit in der Wohnung zu deckendem Unterkunftsbedarf richtet (BSG, Urteil v. 21.7.2021, B 14 AS 31/20 Rz. 30), ist die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße in Quadratmetern zugrunde zu legen (vgl. z. B. BSG, Urteil v. 20.12.2011, B 4 AS 19/11 R Rz. 17 m. w. N., sowie bereits BVerwG, Urteil v. 21.1.1993, 5 C 3/91). Nach Aufhebung des Wohnungsbindungsgesetzes (WoBindG) ist dabei grundsätzlich auf die Wohnungsgrößen abzustellen, die sich aus § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung (WoFG) v. 13.9.2001 ergeben. Nach dieser Vorschrift können die Länder im geförderten Mietwohnungsbau die Anerkennung von bestimmten Grenzen für Wohnungsgrößen nach Grundsätzen der Angemessenheit regeln. Hierbei erlassen die einzelnen Bundesländer Richtlinien (vgl. z. B. für den Bereich des Landes Nordrhein-Westfalen BSG, Urteil v. 20.12.2011, B 4 AS 19/11 R Rz. 17, und Urteil v. 16.5.2012, B 4 AS 109/11 R Rz. 18), deren Gültigkeit in dem jeweils streitigen Zeitraum maßgeblich ist. In Nordrhein-Westfalen ist bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche seit dem 1.1.2010 auf die Werte der Nr. 8.2 der Wohnraumnutzungsbestimmungen (MBl. NRW 2010 S. 1) zurückzugreifen (BSG, Urteil v. 16.5.2012, B 4 AS 109/11 R Rz. 17), der beispielsweise für einen Ein-Personen-Haushalt eine Wohnfläche von 50 qm, für einen Zwei-Personen-Haushalt von 65 qm und für jede weitere Person weitere 15 qm vorsieht. Maßgeblich sind insoweit allein die in den Richtlinien festgelegten Wohnflächengrenzen (in qm), nicht hingegen sonstige wohnraumförderrechtliche Differenzierungsmerkmale, wie etwa die Anzahl der Räume (BSG, Urteil v. 19.10.2010, B 14 AS 50/10 R Rz. 21 m. w. N.) oder persönliche Lebensumstände (wie z. B. Alleinerziehung), auf die in wohnraumförderungsrechtlichen Sonderregelungen Bezug genommen wird (BSG, Urteil v. 11.12.2012, B 4 AS 44/12 R Rz. 14, und Urteil v. 16.4.2013, B 14 AS 28/12 R Rz. 19 ff.). Persönliche Lebensumstände der leistungsberechtigten Person (z. B. eine Behinderung, Alleinerziehung) sind vielmehr erst im Rahmen der konkreten Angemessenheit, also bei der Frage zu berücksichtigen, ob ein Umzug in eine kostenangemessene Wohnung konkret möglich und zumutbar ist (st. Rspr., vgl. nur BSG, Urteil v. 16.4.2013, a. a. O., Rz. 20 ff.).
Rz. 63
Maßgeblich für die Festlegung der angemessenen Wohnfläche ist im SGB XII die Zahl der Mitglieder einer Einstandsgemeinschaft (vgl. BSG, Urteil v. 6.10.2022, B 8 SO 7/21 R Rz. 22; vgl. ferner BSG, Urteil v. 18.06.2008, B 14/11b AS 61/06 R Rz. 21, und Urteil v. 18.2.2010, B 14 AS 73/08 R Rz. 23, jeweils zur Bedarfsgemeinschaft im SGB II). Zwar stellen die Wohnraumförderungsbestimmungen (beispielsweise in Nordrhein-Westfalen) auf die Zahl der Mitglieder der Haushaltsmitglieder ab. Eine Haushaltsgemeinschaft kennt das SGB XII aber nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob es sich um eine Einstandsgemeinschaft (bzw. im SGB II: Bedarfsgemeinschaft) handelt oder lediglich eine Wohnung von mehreren Personen gemeinsam genutzt wird (vgl. BSG, Urteil v. 18.06.2008, a. a. O.).
Rz. 64
Lebt eine leistungsberechtigte Person nicht in einer Einstandsgemeinschaft, sondern in einer bloßen Wohngemeinschaft, ist bei der Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach der Produkttheorie allein auf sie als Einzelperson abzustellen (vgl. BSG, Urteil v. 18.6.2008, B 14/11b AS 61/06 R Rz. 20 zum SGB II; LSG Hessen, Urteil v. 28.7.2011, L 7 SO 51/10). Für Leistungsberechtigte nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, die in einer Wohngemeinschaft oder in einem Mehrpersonenhaushalt mit nicht Hilfebedürftigen i. S. v. § 42a Abs. 3 Nr. 1 leben, gilt seit dem 1.7.2017 allerdings die Sonderregelung in § 42a Abs. 4. Danach bestimmt sich die Angemessenheit unter den dort genannten Voraussetzungen nach der Differenz der jeweiligen Angemessenheitsgrenze für Mehrpersonenhaushalte mit und ohne die leistungsberechtigte Person (vgl. dazu und zur sog. Differenzmethode im Einzelnen die dortige Komm.).
Rz. 65
Ein minderjähriges Kind als Mitglied einer temporären Bedarfsgemeinschaft ist im Rahmen der abstrakten Angemessenheit als weiteres Haushaltsmitglied nur zu berücksichtigen, wenn die getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern den Umgang mit dem Kind gleichmäßig in Form eines familienrechtlichen Wechselmodells praktizieren (BSG, Urteil v. 11.7.2019, B 14 AS 23/18 R). Bei bloßer Wahrnehmung des Umgangs eines Elternteils mit dem nur zeitweise in der Wohnung anwesenden Kind ("Besuchscharakter") gilt dies nicht (BSG, Urteil v. 19.8.2019, B 14 AS 43/18 R). Die Frage, ob bei dem jeweiligen Elternteil wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts ein zusätzlicher Wohnraumbedarf anzuerkennen ist, betrifft die konkrete Angemessenheit (BSG, Urteil v. 21.7.2021, B 14 AS 31/20 R Rz. 30 m. w. N.).