Rz. 10
Ob und in welchem Umfang erwartet werden kann, dass die mit der nachfragenden Person zusammen lebende Person der nachfragenden Person Unterhalt leistet, kann nicht schematisch beantwortet werden, ist aber als Voraussetzung für das Eingreifen der Vermutung von dem Träger der Sozialhilfe möglichst umfassend zu belegen bzw. zu begründen (H. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 39 Rz. 11 m. w. N.). Verschiedene Aspekte sind zu beachten.
Rz. 11
Grundsätzlich kommt es nicht darauf an, ob auch zivilrechtlich eine Unterhaltspflicht vorliegt. Eine sittliche Unterhaltspflicht (vgl. dazu § 84 Abs. 2) reicht aus. Allerdings ergeben sich aus Art und Umfang einer gesetzlichen Unterhaltspflicht Anhaltspunkte dafür, in welchem Umfang die Gewährung von Unterhalt objektiv erwartet werden kann.
Rz. 12
Bezogen auf die Anwendung der Vermutungsregelung zwischen (unterhaltspflichtigen) Verwandten hat das BVerwG (vgl. Urteil v. 1.10.1998, 5 C 32/97) unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung zu § 16 BSHG dargelegt, dass mit der Bestimmung nicht auf ein nach regelsatzmäßigen Gesichtspunkten zu wertendes Einkommen der Angehörigen abgestellt werden soll. Vielmehr sei aus den Umständen des Einzelfalles zu schließen, ob und in welcher Höhe nach der allgemeinen Lebenserfahrung eine Unterhaltsleistung erwartet werden kann. Dies setzt voraus, dass das dem Verwandten oder Verschwägerten verbleibende Einkommen deutlich über dem sozialhilferechtlichen Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt liege (so bereits auch BVerwG, Urteil v. 29.2.1996, 5 C 2/95; Bayerisches LSG, Beschluss v. 9.3.2010, L 8 SO 45/10 B ER Rz. 22 m. w. N.).
Rz. 13
Nach dem Inhalt der vorstehend zitierten Rechtsprechung ist es sachgerecht, bei der Prüfung, in welchem Umfang ein Unterhaltsbeitrag erwartet werden kann, auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe (vgl. die Veröffentlichung der Empfehlungen auf der Homepage des Deutschen Vereins unter www.deutscher-verein.de) zurückzugreifen. Danach verbleibt dem Unterhaltspflichtigen ein in bestimmten Fällen noch zu erhöhender Selbstbehalt nach den Werten der Düsseldorfer Tabelle als Eigenbedarf. Von dem den Eigenbedarf übersteigenden Betrag kann im Regelfall die Hälfte als zumutbare Unterhaltsleistung gegenüber der nachfragenden Person angenommen werden. Diese für den Regelfall vorgesehene Inanspruchnahme von 50 % des überschießenden Betrages ermöglicht es, sozialhilferechtlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen und Besonderheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen (BVerwG, Urteil v. 1.10.1998, 5 C 32/97). Die in § 1 Abs. 2, § 7 Abs. 2 Alg II-V enthaltenen Berechnungsregeln zu der mit § 39 vergleichbaren Vorschrift des § 9 Abs. 5 SGB II sind aus den in Rz. 6 dargelegten Erwägungen nicht auf § 39 übertragbar (a. A. Becker, in jurisPK-SGB XII, § 39 Rz. 42 bis 49; wie hier Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 39 Rz. 10 ff.; kritisch mit im Ergebnis differenzierender Lösung Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 29. Erg.-Lfg. XI/12, K § 39 Rz. 33 bis 49), was nicht ausschließt, dass unter Umständen nach den hier dargestellten Grundsätzen ähnliche Ergebnisse erzielt werden.
Rz. 14
Bei den nunmehr hinzugetretenen weiteren Fällen fehlender Verwandtschaft und den zivilrechtlich nicht unterhaltspflichtigen Verwandten können noch weniger klare Kriterien genannt werden, weil hier die unterhaltsrechtlichen Grundsätze mangels Unterhaltspflicht nicht passen. In jedem Fall kann von diesem Personenkreis nur eine geringere Beteiligung an dem Unterhalt der nachfragenden Person verlangt werden als von einfach oder gesteigert unterhaltspflichtigen Verwandten. Es erscheint hier sachgerecht, nach der persönlichen Nähe zu der nachfragenden Person und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie den sonstigen wirtschaftlichen Verpflichtungen der mit der nachfragenden Person zusammenlebenden Person zu differenzieren, so dass im Einzelfall auch eine ähnlich hohe Beteiligung an dem Unterhalt der nachfragenden Person erwartet werden kann wie bei einem unterhaltspflichtigen Angehörigen.
Rz. 15
Probleme können sich insbesondere bei sog. gemischten Gemeinschaften ergeben. Hierbei handelt es sich um solche, bei denen nicht zwischen allen Beteiligten § 39 Anwendung findet, sondern zwischen einzelnen Personen z. B. § 27 Abs. 2 gilt oder eine Bedarfsgemeinschaft i. S. d. der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 7 Abs. 2 SGB II) besteht. Hier ist stets genau darauf zu achten, in welchen Personenkonstellationen über welche Vorschriften Einkünfte und/oder Vermögen berücksichtigt werden können. Eine solche Konstellation liegt etwa vor, wenn berechtigte Kinder mit Stief- oder Großeltern in einem Haushalt leben (zu Einzelheiten aus der Rechtsprechung vgl. Rz. 27).
Rz. 16
In der Regel kann nicht erwartet werden, dass die Pflegeperson das Pflegegeld (§ 64) zum Unterhalt des Pflegebedürftigen verwendet. Die Erwartun...