Rz. 21
Die Vermutung kann widerlegt werden. Da es sich um eine doppelte Vermutung handelt, kommt als Ansatzpunkt dafür sowohl die erste als auch die zweite Vermutungsfolge in Betracht. Das heißt, es kann behauptet und belegt werden, dass trotz Wohngemeinschaft nicht gemeinsam gewirtschaftet wird oder dass die mit der nachfragenden Person zusammenlebende Person tatsächlich keinen Beitrag zum Lebensunterhalt leistet. Die Vermutung ist nicht schon dann widerlegt, wenn eine Person gegenüber anderen einen geringeren Beitrag an der Haushaltsführung leistet, selbst wenn für eine Haushaltsführung wesentliche Fähigkeiten fehlen. Die Vermutung greift nur dann nicht, wenn keinerlei oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil v. 23.7.2014, B 8 SO 14/13 Rz. 16). Streng zu unterscheiden ist die Widerlegung der Vermutungsfolge nach Satz 2 von der Frage, ob die Voraussetzungen für die Vermutung (vgl. Rz. 7 ff.) erfüllt sind (so auch Grube, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 39 Rz. 18). Wer die Vermutung widerlegen will – in aller Regel wird dies derjenige sein, der Leistungen vom Träger der Sozialhilfe begehrt –, den trifft dafür die Beweislast (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 3.3.2006, L 20 B 64/05 SO ER Rz. 5; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 29. Erg.-Lfg. XI/12, K § 39 Rz. 57). Ob und wann die Vermutung als widerlegt angesehen werden kann, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalles zu entscheiden. Besonders hohe Anforderungen sind jedoch nicht zu stellen. Nach Auffassung des Gesetzgebers (BT-Drs. 15/1514 S. 61 zu § 37) wird im Regelfall eine Glaubhaftmachung oder eine zweifelsfreie Versicherung ausreichen (vgl. zu den konkreten Anforderungen im Einzelfall OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 4.10.1993, 8 A 275/92).
Rz. 22
Im Übrigen können die Auskunftspflichten nach § 117 Abs. 1 Satz 2 weiterhelfen. An die Schlüssigkeit des Vortrages bzw. die Überzeugungskraft der Mittel zur Glaubhaftmachung dürften umso höhere Anforderungen zu stellen sein, je größer die vermutete Leistungsfähigkeit der mit der nachfragenden Person zusammenlebenden Person ist.
Rz. 23
Der Einwand, die mit der nachfragenden Person zusammenlebende Person sei nur deswegen tätig geworden bzw. in "Vorleistung" getreten, weil nicht rechtzeitig Sozialhilfe geleistet worden sei, ist jedenfalls dann unbeachtlich, wenn es sich bei dem Dritten um einen unterhaltsverpflichteten Verwandten handelt. Der Gesichtspunkt der "Nothilfe" anstelle und für Rechnung des Sozialhilfeträgers ist nämlich dann nicht tragfähig, wenn den "Nothelfer" selbst eine Unterhaltspflicht trifft, welche gegenüber der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers vorrangig ist und vom Sozialhilfeträger auch gegen den Willen des Unterhaltspflichtigen durchgesetzt werden kann (§ 94) (vgl. BVerwG, Urteil v. 19.11.1998, 5 B 36/98; kritisch dazu Conradis, in: LPK-SGB XII, 9. Auflage 2012, § 39 Rz. 20). Auch hier kommt es wiederum maßgebend auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. auch Becker, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 39 Rz. 77 ff. m. w. N.; Falterbaum, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 29. Erg.-Lfg. XI/12, K § 39 Rz. 60).