Rz. 6
Wirtschaftlich gesehen hatten die Hilfen bei Krankheit (§§ 36 bis 38 BSHG) im alten Recht eine hohe Bedeutung, da eine Vielzahl der Leistungsberechtigten nicht gesetzlich oder in sonstiger Weise krankenversichert war und deswegen für diesen Personenkreis die zur Gesundheitsvorsorge bzw. Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit erforderlich Hilfen über diese Vorschriften abzuwickeln waren. Die Leistungen hatten damit Ersatzfunktion (vgl. OVG Hamburg, Urteil v. 20.10.1989, Bf IV 52/89 m. w. N.). Das Gesamtvolumen der Hilfen bei Krankheit belief sich im Jahr 2004 bundesweit auf ca. 1,3 Mrd. EUR. Auch für die Leistungsberechtigten, die anderweitigen Krankenversicherungsschutz besaßen, waren die Vorschriften der Krankenhilfe aber insofern von Bedeutung, als durch die Hilfen Lücken der vorrangigen Sicherungssysteme gefüllt wurden. Solche Lücken stellten z. B. die Zuzahlungsregelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Insofern wurden den Hilfeempfängern sog. aufstockende Hilfen gewährt (vgl. dazu auch Dillmann, ZfF 2008 S. 97, 98). Allerdings waren die Hilfeempfänger verpflichtet, zuvor alle Befreiungsmöglichkeiten auszuschöpfen (vgl. § 38 Abs. 2 BSHG). Den Hilfen nach §§ 36 bis 38 BSHG kam damit neben der Ersatz- eine Ergänzungsfunktion zu (vgl. BVerwG, Urteile v. 17.6.1993 und 30.9.1993, 5 C 11.91 bzw. 5 C 49/91). Die Bedeutung der Krankenhilfe ist seit Einfügung des SGB XII sowohl quantitativ als auch qualitativ erheblich zurückgegangen.
1.2.1 Bedeutungswandel in quantitativer Hinsicht durch die jüngere Reformgesetzgebung
Rz. 7
Bereits 2008 beliefen sich die gesamten Ausgaben für Leistungen nach dem Fünften Kapitel nur noch auf 856 Mio. EUR (destatis, Auswertung der Sozialhilfestatistik für das Jahr 2008). Darin enthalten sind schon die Leistungen für den von § 264 Abs. 2 SGB V erfassten Personenkreis (dazu Rz. 8 ff.). "Direkte" Leistungen nach dem Fünften Kapitel erhielten bundesweit nur noch etwa 36.000 Personen, davon etwa 10.000 in Einrichtungen (destatis, a. a. O.). Im Jahr 2013 beliefen sich die Leistungen in Form von Hilfen zur Gesundheit (89,3 Mio. EUR) sowie die Erstattungen an Krankenkassen für die Übernahme der Krankenbehandlung (663,7 Mio. EUR) insgesamt auf etwa 753 Mio. EUR (vgl. destatis, Fachserie 13 Reihe 2.1), wobei sich die Zahl der Personen, denen (direkte) Hilfen zur Gesundheit geleistet wurden, bis zum 31.12.2013 weiter auf 13.089 (davon 3.327 in Einrichtungen) reduzierte. Anspruch auf Übernahme der Krankenbehandlung nach § 264 Abs. 2 SGB V hatten am 31.12.2013 68.338 Personen (vgl. destatis, Fachserie 13 Reihe 2.3). Dieser massive Bedeutungsverlust der Krankenhilfe beruht auf der zunehmenden Integration der bisher außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V bzw. auch der privaten Krankenversicherung stehenden Bevölkerungsgruppen in diese Systeme (vgl. zur historischen Entwicklung Dillmann, ZfF 2008 S. 97; Hammel, info also 2004 S. 323).
Rz. 8
Schon vor Einführung des SGB XII hatte sich der Kreis der Personen, die über keinerlei krankenversicherungsrechtliche Absicherung verfügten und damit vollständig auf Hilfen bei Krankheit angewiesen waren, wesentlich verringert. Diese Änderung resultierte aus einer Ergänzung des § 264 SGB V, die mit Wirkung zum 1.1.2004 durch das Erste und Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 23.12.2002 (BGBl. I S. 4607 und S. 4621) vorgenommen wurde (vgl. zu den Änderungen und ihren Auswirkungen auf das Sozialhilferecht allgemein: Zeitler, Übernahme der Krankenbehandlung für Empfänger von Sozialhilfe durch die gesetzlichen Krankenkassen ab 1. Januar 2004, NDV 2004 S. 45). Danach (§ 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V) wird die Krankenbehandlung für (dort noch näher definierte) Leistungsberechtigte nach dem SGB VIII, dem SGB XII und dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) von der Krankenkasse übernommen. Ausgenommen sind nach § 264 Abs. 2 Satz 2 SGB V (aus Praktikabilitätsgründen) lediglich Personen, die voraussichtlich nicht länger als einen Monat Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen, die in § 24 genannten Personen und solche, die ausschließlich Leistungen nach § 11 Abs. 5 Satz 3 bzw. § 33 erhalten. Damit hat der Gesetzgeber der bereits längere Zeit erhobenen Forderung nach der Einbeziehung von Sozialhilfeberechtigten in das System der gesetzlichen Krankenversicherung Rechnung getragen. Der Begriff der Krankenbehandlung in § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist dabei nicht eingeschränkt auf die Leistungen des Dritten Kapitels, Fünfter Abschnitt, Erster Titel des SGB V (§§ 27 ff. SGB V). Er erstreckt sich vielmehr auf alle in § 11 Abs. 1 SGB V genannten Leistungsbereiche (wie hier Flint, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 48 Rz. 34 ff.; a. A. Löcher, Hilfen zur Gesundheit, ZfS 2006 S. 78). Dies ergibt sich aus § 264 Abs. 4 Satz 1 SGB V. Nicht erfasst sind demgegenüber die Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, so dass insoweit durchaus ein eigenständiger Anwendungsbereich für die Regelung des § 50 verbleibt (vgl. die dortige Komm.).
Rz. 9
Obwohl dies nach dem Wortlaut der Regelung durcha...