Rz. 5
In Abs. 1 Satz 1 wird klargestellt, dass die Hilfen nach §§ 47 bis 51 den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Im Vergleich zu § 38 Abs. 1 Satz 1 BSHG fehlt der Zusatz "soweit in diesem Gesetz keine andere Regelung getroffen ist". Damit sind die Leistungen des Fünften Kapitels ihrem Umfang nach umfassend an das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung angebunden (Schlette, in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: 06/19, § 52 Rz. 6). Nicht von §§ 47 bis 51 umfasste Leistungen muss der Hilfeempfänger aus dem Regelsatz bestreiten (vgl. dazu BSG, Urteil v. 15.11.2012, B 8 SO 6/11 R). Die Möglichkeit, nach dem SGB V "ausgeschlossene" Leistungen über einen Anspruch nach dem Sechsten Kapitel (Eingliederungshilfe) zu erhalten, bleibt jedoch unberührt (vgl. dazu zuletzt BSG, Urteil v. 18.7.2019, B 8 SO 4/18 R zur Versorgung mit einer Brille, sowie LSG Hamburg, Urteil v. 12.3.2018, L 4 SO 17/15 Rz. 21 zur Petö-Therapie). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Anbindung an den Leistungsumfang des SGB V bestehen schon deshalb nicht, weil mit der Regelung eine Gleichstellung von Hilfeempfängern mit gesetzlich Versicherten erzielt wird, die im Gegenteil vielmehr dem Gleichbehandlungsgebot der Verfassung (Art. 3 Abs. 1 GG) entspricht (vgl. zur Problematik der Anbindung an das Leistungssystem des SGB V auch ausführlich die Komm. zu § 48 Rz. 17 m. w. N.).
Rz. 6
Während die meisten Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung gesetzliche Pflichtleistungen sind, bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen also ohne einen Entscheidungsspielraum der Krankenkassen gewährt werden müssen (sog. Muss-Leistungen; vgl. Komm. zu § 17), können die Krankenkassen bei einigen (wenigen) Leistungen entscheiden, ob sie ihren Mitgliedern zugutekommen sollen. Die entsprechenden Regelungen erfolgen abstrakt-generell in den Satzungen der Krankenkassen (vgl. § 34 SGB IV, § 81 SGB V sowie die dazugehörigen Kommentierungen), wobei den Krankenkassen hinsichtlich des Ob und Wie ein Satzungsermessen zusteht. Das Instrument der Satzung, das auf der Selbstverwaltungsautonomie der Krankenkassen beruht, steht den Sozialhilfeträgern, die keine Selbstverwaltungskörperschaften sind, jedoch nicht zur Verfügung. Demgemäß kommt bei den entsprechenden Leistungen nur eine konkret-individuelle Entscheidung in Frage, bei der die Sozialhilfeträger Einzelfallermessen ausüben müssen. Die Pflicht hierzu ist in Abs. 1 Satz 2 geregelt. Auf diese Weise wird auch jenseits der Pflichtleistungen eine größtmögliche Leistungskongruenz zwischen gesetzlicher Krankenversicherung und Sozialhilfe hergestellt.
Rz. 7
Ermessensleistungen, auf die Abs. 1 Satz 2 Anwendung findet, sind (dazu § 11 Abs. 6 SGB V) u. a. Präventionsleistungen (§ 20 Abs. 1 SGB V), Schutzimpfungen (§ 20d Abs. 2 Satz 1 SGB V), medizinische Vorsorgeleistungen, hinsichtlich derer ein Zuschussanspruch bestehen kann (§ 23 Abs. 2 Satz 1 SGB V), Leistungen der häuslichen Krankenpflege, Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung neben Behandlungspflege (§ 37 Abs. 2 Satz 4 SGB V; vgl. hierzu aber die Spezialregelungen der Hilfe zur Pflege in §§ 61 ff.), Haushaltshilfeleistungen (§ 38 Abs. 2 Satz 1 SGB V) und Leistungen im Rahmen der Teilnahme an Modellvorhaben (vgl. § 63 Abs. 5 Satz 1 SGB V), etwa bei Akupunkturleistungen. Absatz 1 Satz 2 eröffnet auch die Befugnis, im Wege des Ermessens einen Zuschuss zur Finanzierung einer persönlichen elektronischen Gesundheitsakte zu gewähren (§ 68 SGB V). Wahltarife (§ 53 SGB V), soweit sie mit gesonderten Prämien verbunden sind, werden von § 52 Abs. 1 nicht erfasst.
Rz. 8
Die Art des auszuübenden Ermessens richtet sich ebenfalls nach den Regelungen des SGB V. Während es sich bei den bereits erwähnten Leistungen in der Regel um Kann-Leistungen handelt, ist hinsichtlich des Anspruchs auf Präventionsleistungen nach § 20 Abs. 1 SGB V auch vom Sozialhilfeträger ein Soll-Ermessen (vgl. dazu § 17) auszuüben.
Rz. 8a
Ob Abs. 1 Satz 2 so weit geht, dass der Träger auch für die nach § 264 SGB V "Quasiversicherten" nach Ermessen Leistungen zusprechen kann, die die gewählte Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen könnte, aber nicht vorgesehen hat, ist in der Rechtsprechung des BSG umstritten (bejahend BSG, Urteil v. 8.3.2016, B 1 KR 26/15 Rz. 19, sowie dem folgend Söhngen, in: jurisPK-SGB XII, Stand: 17.5.2016, § 52 Rz. 15.1; ähnlich H. Schellhorn, in: Schellhorn/Hohm/Scheider, SGB XII, 19. Aufl. 2015, § 52 Rz. 7; verneinend BSG, Urteil v. 27.5.2014, B 8 SO 26/12 R Rz. 19). Da der Träger der Sozialhilfe im Rahmen von § 264 SGB V allein zur Kostenerstattung herangezogen wird, verdient die Auffassung den Vorzug, wonach die Leistungsansprüche von "Quasiversicherten" auf die Satzungsleistungen der jeweils gewählten Kasse beschränkt sind. Alles andere wäre auch mit Blick auf die Satzungsautonomie der Krankenkassen bedenklich (wie hier im Wesentlichen Flint, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 52 Rz. 6).