0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die ab dem 1.1.2005 gültige Vorschrift in der Fassung vom 27.12.2003 wurde durch Art. 2 Nr. 5 des Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3191) mit Wirkung zum 1.1.2017 inhaltlich gänzlich geändert.
1 Allgemeines
Rz. 1a
In der bis zum 31.12.2016 gültigen Fassung regelte § 62 die Bindung an die Entscheidung der Pflegekasse. Eine entsprechende Vorschrift enthält seit dem 1.1.2017 der neue § 62a. § 62 stellt nunmehr klar, wie der Grad der Pflegebedürftigkeit ermittelt wird. In der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung enthielt das 7. Kapitel keine solche ausdrückliche Regelung zum Verfahren der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit. Der Gesetzgeber stellt mit der neuen Vorschrift klar, dass die Anwendung eines identischen Begutachtungsverfahrens zur Ermittlung des Grades des Pflegebedürftigkeitsbegriffs im SGB XI und SGB XII zur Sicherstellung der Anwendung einheitlicher Kriterien und Maßstäbe zwingend ist. Auch (und gerade) dann, wenn keine Leistungen nach dem SGB XI, sondern ausschließlich solche nach dem 7. Kapitel des SGB XII in Frage kommen, ist das Begutachtungsinstrument nach § 15 SGB XI maßgeblich.
2 Rechtspraxis
2.1 Begutachtungsinstrument nach § 15 SGB XI
Rz. 2
So bestimmt § 62 nunmehr in Satz 1, dass bei der Ermittlung der Pflegegrade die Begutachtungsinstrumente nach § 15 SGB XI anzuwenden sind, also die Begutachtung nach dem "Neuen Begutachtungsassessment" (NBA) erfolgen soll. Auch wenn dies nicht ausdrücklich im Gesetz steht: Der Verweis bezieht sich auch auf die 2 Anlagen zum § 15 SGB XI, da ansonsten der Grad der Pflegebedürftigkeit nicht ermittelbar wäre (vgl. Schlegel/Voelzke, in: jurisPK-SGB XII, § 62 Rz. 6). Pflegebedürftige erhalten nunmehr nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad). Anders als nach alter Rechtslage kommt es nicht mehr auf einen Zeitbezug, also den in Minuten dargestellten, verrichtungsbezogenen Hilfebedarf des Pflegebedürftigen an. Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments ermittelt, das in 6 Module gegliedert ist. Diese entsprechen den 6 Bereichen des § 14 Abs. 2 SGB XI (§ 61a Abs. 2). Die genaue Ermittlung des Pflegegrades erfolgt gemäß dem in § 15 Abs. 2 und 3 SGB XI geregelten Verfahren in mehreren Schritten (vgl. die dortige Komm.). Schwierigkeiten dürfte bisweilen die Frage aufwerfen, wie weit jemand in seiner Selbstständigkeit und seinen Fähigkeiten eingeschränkt ist. Zwar finden sich in den Begutachtungs-Richtlinien hierzu allgemeine und auch spezielle Definitionen für die überwiegenden Pflegekriterien. Allerdings dürfte eine Einschätzung je nach Einzelfall dennoch schwierig sein. Hervorzuheben ist, dass die 6 Module des Begutachtungsinstruments gemäß § 15 Abs. 2 Satz 8 SGB XI unterschiedlich gewichtet werden: Das Modul Mobilität fällt mit nur 10 % am wenigsten, das Modul Selbstversorgung mit 40 % hingegen am stärksten ins Gewicht.
2.2 Entsprechende Anwendung der Richtlinien der Pflegekassen
Rz. 3
Satz 2 regelt, dass die aufgrund des § 16 SGB XI erlassene Verordnung sowie die aufgrund des § 17 SGB XI erlassenen Richtlinien der Pflegekassen entsprechende Anwendung finden. Dies war vor Inkrafttreten des PSG III bereits über den Verweis in § 61 Abs. 6 a. F. der Fall. § 16 SGB XI ermächtigt das derzeit für Pflegeversicherung zuständige Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften zur pflegefachlichen Konkretisierung der Inhalte des Begutachtungsinstruments nach § 15 SGB XI sowie zum Verfahren der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach § 18 SGB XI zu erlassen. Bislang ist eine solche Verordnung nicht erlassen worden. Von der Ermächtigung soll vornehmlich dann Gebrauch gemacht werden, wenn die Spitzenverbände der Pflegekassen dem ihnen erteilten Auftrag nicht schon mittels der nach § 17 SGB XI erlassenen Richtlinien zufriedenstellend nachkommen (vgl. BSG, Urteil v. 30.10.2001, B 3 P 2/01 R m. w. N.). Offenbar wurde aufgrund der bestehenden Richtlinien und der Tatsache, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung viele Zweifelsfragen geklärt hat, der Erlass einer Verordnung bislang nicht für notwendig erachtet. Dass eine Verordnung nach § 16 SGB XI erlassen wird, ist derzeit nicht zu erwarten (vgl. Roller, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 16 SGB XI m. w. N.). Der Verweis geht daher diesbezüglich ins Leere.
Durch die Richtlinien i. S. d. § 17 SGB XI soll eine Vereinheitlichung des Verwaltungsvollzugs erreicht werden (vgl. Udsching, in: Udsching, SGB XI, § 17 Rz. 3). Zu den gemäß § 62 Satz 2 im SGB XII entsprechend anwendbaren, aufgrund von § 17 SGB XI erlassenen Richtlinien zählen die Begutachtungs-Richtlinien (§ 17 Abs. 1 SGB XI), die Pflegeberatungs-Richtlinien (§ 17 Abs. 1a SGB XI) und die Kostenabgrenzungs-Richtlinien (§ 17 Abs. 1b SGB XI).