2.1 Ausreichen häuslicher Pflege
Rz. 3
Ob häusliche Pflege ausreicht, ist – wie schon nach altem Recht – eine Tatfrage und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. auch Luik, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, § 41 Rz. 80). Dies wird in den meisten Fällen nur aufgrund ärztlicher Gutachten erfolgen können. Auch wenn die Bindungswirkung nach § 62a wegen ihrer Beschränkung auf Feststellungen zum Pflegegrad nicht unmittelbar eingreift, wird ein etwaiges Abweichen von der Einschätzung der Pflegekasse zur Frage der Notwendigkeit von (teil-)stationärer Betreuung besonders sorgfältig zu begründen sein.
Anders als nach dem bis zum 31.12.2016 geltenden Recht enthält der die vollstationäre Pflege regelnde § 43 SGB XI nach dem Inkrafttreten des PSG III zum 1.1.2017 nicht mehr die Voraussetzung, dass ‹häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheiten des Einzelfalles nicht in Betracht kommt›. Die Streichung steht im Zusammenhang mit der bereits zuvor durch das PSG II erfolgten Streichung des § 43 Abs. 4 SGB XI, der ebenfalls eine Prüfung der Erforderlichkeit vollstationärer Pflege vorsah. Bei dem Anspruch auf vollstationäre Pflege in der sozialen Pflegeversicherung kommt es folglich nicht mehr darauf an, ob häusliche oder teilstationäre Pflege möglich ist. Im SGB XI ist die Erforderlichkeit der vollstationären Pflege im Rahmen des § 43 SGB XI somit vom MDK nicht mehr vom zu prüfen (vgl. auch Luik, a. a. O., § 43 Rz. 5). Hintergrund ist, dass sich die Leistungsbeträge bei ambulanter und vollstationärer Pflege angenähert haben (vgl. BT-Drs. 18/10510 S. 108).
Rz. 3a
Allerdings kommt es im Rahmen des § 41 SGB XI bei der Prüfung eines Anspruchs auf Tages- oder Nachtpflege nach wie vor darauf an, ob ‹häusliche Pflege nicht in ausreichendem Maße sichergestellt werden kann oder wenn dies zur Ergänzung oder Stärkung der häuslichen Pflege erforderlich ist›.
Neben der gesundheitlichen Situation des Pflegebedürftigen spielt bei der Prüfung, ob häusliche Pflege ausreicht, auch eine entscheidende Rolle, ob geeignetes Pflegepersonal im Einzelfall vorhanden ist und, ob die Wohnsituation eine ambulante Pflege zulässt (so zur bis zum 31.12.2016 geltenden Vorgängervorschrift Meßling, in: jurisPK-SGB XII, § 63 Rz. 13).
2.2 Wunsch- und Wahlrecht
Rz. 4
Durch § 64 wird die Verpflichtung, angemessenen Wünschen des Leistungsberechtigten Rechnung zu tragen, eingeschränkt. Dies ist durch § 9 Abs. 2 Satz 2 nunmehr ausdrücklich klargestellt. Ist häusliche Pflege angebracht, ausreichend und gewährleistet, kann der Hilfesuchende grundsätzlich keine Heimunterbringung fordern, da diese dann i. d. R. unzumutbare Mehrkosten verursacht (BVerwG, Urteil v. 11.2.1982, 5 C 85/80, NDV 1982 S. 235). Eingeschränkt wird die Berücksichtigung von Wünschen des Pflegebedürftigen aber auch durch § 13, wenn eine ambulante Pflege mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (dazu SG Oldenburg, Beschluss v. 15.6.2007, S 2 SO 22/07 ER; vgl. auch die Komm. zu § 13). Allerdings kommt dieser Kostenvergleich nur zum Tragen, wenn ein Heimaufenthalt nach den Umständen des Einzelfalles zumutbar ist, was vorrangig in einem ersten Schritt geprüft werden muss. Zudem dürfte die UN-Behindertenrechtskonvention in diesem Zusammenhang zu beachten sein (vgl. dazu zum alten Recht Klie, in: Hauck/Haines, SGB XII, Stand: November 2012, § 63 Rz. 3).
2.3 Nahestehende Personen und Nachbarschaftshilfe
Rz. 5
Auszugehen ist vom Begriff der ehrenamtlichen Pflegeperson i. S. d. § 19 Satz 1 SGB XI. Der Begriff der ‹nahestehenden Person› ist daher nicht eng auszulegen und umfasst neben Ehegatten, Verwandten und Verschwägerten auch Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften, Freunde und sonstige ehrenamtliche Helfer (Gutzler, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, § 3 Rz. 13 m. w. N.). Auf ein etwaiges Verwandtschaftsverhältnis kommt es nicht an. Die Vermutungsregel des § 39 Satz 1 greift jedoch (unabhängig von der Zweifelsfrage ihrer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung) schon dem Wortlaut des § 39 Satz 3 Nr. 2 nach nicht ein. Deswegen darf eine pflegerische Bedarfsdeckung durch etwaige Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft nicht vermutet werden. Sie ist vielmehr im Einzelfall positiv festzustellen, so dass die materielle Beweislast hierfür beim Träger der Sozialhilfe liegt.
Rz. 6
Im Übrigen kommt dem Sozialhilfeträger im Rahmen seiner Hinwirkungspflicht auch eine Pflicht zur Beratung i. S. d. § 10 Abs. 2 zu (vgl. dazu zum alten Recht Krahmer/Sommer, Sozialgesetzbuch XII – Sozialhilfe, Lehr- und Praxiskommentar, § 63 Rz. 4). Nach der zum bis zum 31.12.2016 geltenden Recht ergangenen Rechtsprechung des BSG ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz eine vorrangige Verpflichtung des Sozialhilfeträgers enthält, in Fallgestaltungen, in denen die (einfache) häusliche Pflege nach den Umständen des Einzelfalls ausreicht, (zunächst) selbst im Sinne einer Dienstleistung darauf hinzuwirken, dass eine unentgeltliche Pflege mit Ersatz der Aufwendungen tatsächlich durchgeführt werden kann. Der Träger der Sozialhilfe soll also Maßnahmen der ambulanten Pflege nach Kräften fö...