0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die ab dem 1.1.2005 gültige Vorschrift in der Fassung vom 27.12.2003 wurde durch Art. 2 Nr. 5 des Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III) v. 23.12.2016 (BGBl. I S. 3191) mit Wirkung zum 1.1.2017 geändert.
§ 64 regelt nunmehr den grundsätzlichen Vorrang häuslicher Pflege und übernimmt damit weitestgehend den bisherigen § 63 Satz 1. Ursprünglich sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, in § 64 Abs. 1 zu regeln, dass die Pflege vorrangig durch Pflegegeld sicherzustellen ist, soweit häusliche Pflege ausreicht. Abs. 2 des Entwurfs entsprach bis auf die Erweiterung um "sonstige, zum gesellschaftlichen Engagement bereite Personen" weitgehend dem jetzigen § 64.
Aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit hat die Vorschrift ihre jetzige Gestalt erhalten. Der Ausschuss begründete die Änderung damit, dass hiermit klargestellt werde, dass mit dem Gesetzentwurf keine inhaltliche Änderung gegenüber dem bisherigen § 63 Satz 1 in Verbindung mit dem allgemeinen sozialhilferechtlichen Grundsatz des § 13 Abs. 1 verbunden sei (vgl. BT-Drs. 18/10510 S. 128). Wie bisher sollen in Konkretisierung des allgemeinen sozialhilferechtlichen Grundsatzes die Träger der Sozialhilfe darauf hinwirken, dass die häusliche Pflege – soweit diese ausreichend ist – unter Verwendung des Pflegegeldes nach § 64a durch Personen, die dem Pflegebedürftigen nahestehen oder als Nachbarschaftshilfe übernommen wird.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 64 entspricht der Grundnorm bzw. dem Gesetzesziel des Vorrangs ambulanter häuslicher Pflege nach § 13 Abs. 1 Satz 2 ebenso wie nach § 3 SGB XI. Dabei umfasst der Begriff "häusliche Pflege" sowohl die Pflege im eigenen Haushalt des Hilfebedürftigen als auch die in einem Haushalt, in den er aufgenommen ist (Krahmer, in: Klie/Krahmer, SGB XI, § 3 Rz. 7). Oftmals entspricht es auch gerade dem Wunsch der Hilfebedürftigen, in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt zu werden und verbleiben zu können. Gleichzeitig sprechen finanzpolitische Gründe für den Vorrang: Ambulante Hilfen werden regelmäßig (jedoch nicht ausschließlich) kostengünstiger erbracht. Gesetzestechnisch hat § 64 aufgrund seiner Verortung vor den die verschiedenen Leistungen regelnden §§ 64a bis 64i darüber hinaus eine Einweisungsfunktion im Sinne einer Weichenstellung für die gesamte Leistungserbringung: Wird festgestellt, dass häusliche Pflege genügt, findet § 64 Anwendung. Nur wenn die häusliche Pflege nicht ausreicht, kommen teil- und vollstationäre Maßnahmen in Betracht. Gleiches gilt für den Vorrang der Betreuung durch nahestehende Personen gegenüber der Betreuung durch Berufspflegekräfte.
Die Vorschrift spielt vor allem für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 2 und höher eine Rolle, denn bei Vorliegen von Pflegegrad 1 werden nur die in § 63 Abs. 2 genannten, eingeschränkten Leistungen gewährt.
2 Rechtspraxis
2.1 Ausreichen häuslicher Pflege
Rz. 3
Ob häusliche Pflege ausreicht, ist – wie schon nach altem Recht – eine Tatfrage und nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. auch Luik, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, § 41 Rz. 80). Dies wird in den meisten Fällen nur aufgrund ärztlicher Gutachten erfolgen können. Auch wenn die Bindungswirkung nach § 62a wegen ihrer Beschränkung auf Feststellungen zum Pflegegrad nicht unmittelbar eingreift, wird ein etwaiges Abweichen von der Einschätzung der Pflegekasse zur Frage der Notwendigkeit von (teil-)stationärer Betreuung besonders sorgfältig zu begründen sein.
Anders als nach dem bis zum 31.12.2016 geltenden Recht enthält der die vollstationäre Pflege regelnde § 43 SGB XI nach dem Inkrafttreten des PSG III zum 1.1.2017 nicht mehr die Voraussetzung, dass ‹häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich ist oder wegen der Besonderheiten des Einzelfalles nicht in Betracht kommt›. Die Streichung steht im Zusammenhang mit der bereits zuvor durch das PSG II erfolgten Streichung des § 43 Abs. 4 SGB XI, der ebenfalls eine Prüfung der Erforderlichkeit vollstationärer Pflege vorsah. Bei dem Anspruch auf vollstationäre Pflege in der sozialen Pflegeversicherung kommt es folglich nicht mehr darauf an, ob häusliche oder teilstationäre Pflege möglich ist. Im SGB XI ist die Erforderlichkeit der vollstationären Pflege im Rahmen des § 43 SGB XI somit vom MDK nicht mehr vom zu prüfen (vgl. auch Luik, a. a. O., § 43 Rz. 5). Hintergrund ist, dass sich die Leistungsbeträge bei ambulanter und vollstationärer Pflege angenähert haben (vgl. BT-Drs. 18/10510 S. 108).
Rz. 3a
Allerdings kommt es im Rahmen des § 41 SGB XI bei der Prüfung eines Anspruchs auf Tages- oder Nachtpflege nach wie vor darauf an, ob ‹häusliche Pflege nicht in ausreichendem Maße sichergestellt werden kann oder wenn dies zur Ergänzung oder Stärkung der häuslichen Pflege erforderlich ist›.
Neben der gesundheitlichen Situation des Pflegebedürftigen spielt bei der Prüfung, ob häusliche Pflege ausreicht, auch eine entscheidende Rolle, ob geeignetes Pflegepersonal im Einzelfall vorhanden ist und, ob die Wohns...