Rz. 69
Fraglich ist, ob auf den Abschluss von Verträgen zwischen den Sozialhilfeträgern und den Trägern der Einrichtungen bzw. Dienste die wettbewerbsrechtlichen Regelungen über das Vergabeverfahren (§§ 97 ff. GWB i. V. m. der Vergabeverordnung) Anwendung finden. Hierfür müssen nach §§ 98 bis 100 GWB 3 Voraussetzungen erfüllt sein:
- Die Träger der Sozialhilfe müssen öffentliche Auftraggeber i. S. v. § 98 GWB sein.
- Die Verträge nach § 75 müssen öffentliche Aufträge i. S. v. § 99 GWB sein.
- Sie müssen die Schwellenwerte des § 100 GWB überschreiten.
Rz. 70
Im Ergebnis wird eine Anwendung der genannten Vorschriften auf die §§ 75ff. abzulehnen sein, obwohl die Sozialhilfeträger als Gebietskörperschaften (§ 98 Nr. 1 GWB) öffentliche Auftraggeber i. S. v. § 98 GWB sind (wie hier: Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., § 75 Rz. 24 m. w. N.; zum Problem auch Münder, in: LPK-SGB XII, a. a. O., § 75 Rz. 20). Zweifelhaft ist allenfalls die richtige Begründung:
Rz. 71
Es lässt sich schon bezweifeln, dass die Verträge nach §§ 75 ff. öffentliche Aufträge sind, weil der Gesetzgeber den Geltungsbereich des § 99 GWB ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien auf privatrechtliche Verträge hat beschränken wollen (vgl. BT-Drs. 13/9349 S. 15), während die Verträge nach §§ 75 ff. nach zutreffender Ansicht öffentlich-rechtliche Verträge sind (Rz. 38). Zum einen lässt sich jedoch dem Gesetzeswortlaut selbst für diese Einschränkung nichts entnehmen. Zum anderen hat sich die Auslegung der §§ 97 ff. GWB auch stets an den Vorgaben des europäischen Vergaberechts zu orientieren, auf dem sie letztlich beruhen. Dort hat der EuGH indessen entschieden, dass der öffentlich-rechtliche Charakter eines Vertrages an der Anwendbarkeit der Vergabevorschriften nichts ändert (EuGH, Urteil v. 12.7.2001, C-399/98 [Ordine degli Architetti di Milano et Lordi]; hierzu auch Koenig/Busch, NZS 2003 S. 461, 464; Kunze/Kreikebohm, NZS 2003 S. 5, 62).
Rz. 72
Voraussetzung ist allerdings nach § 99 Abs. 1 GWB weiter, dass es sich um entgeltliche Verträge handelt. Liest man dieses Merkmal i. S. von "synallagmatisch", so fehlt es an der Entgeltlichkeit deshalb, weil die Verträge nach §§ 75 ff. nicht unmittelbar eine Gegenleistung für Leistungen vorsehen, sondern lediglich den Rahmen für die Begründung synallagmatischer Austauschverhältnisse (Leistung gegen Entgelt) schaffen (so Neumann/Nielandt/Philipp, S. 65 in einem Gutachten für den Deutschen Caritasverband und das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland). Nach a. A. reicht es für die Entgeltlichkeit aus, dass die Pflegesatzvereinbarung die Bedingung für das Entstehen entgeltlicher Ansprüche ist (Mrozynski, ZfSH/SGB 2004 S. 451).
Rz. 73
Richtig ist vielmehr der Begründungsansatz, dass die §§ 97 ff. GWB nach Sinn und Zweck ein Vergabeverfahren nicht voraussetzen. Hintergrund jedes Vergabeverfahrens ist die Annahme, dass der Zugang zu dem öffentlichen Auftrag begrenzt ist. In diesem Fall muss allen potentiellen Bewerbern die gleiche Zugangschance eröffnet werden. Bei den Verträgen nach §§ 75 ff. stellt sich dieses Problem wegen des jederzeit möglichen und nach der hier vertretenen Auffassung (Rz. 32) sogar einklagbaren Anspruchs auf Zugang zum Auftrag indessen nicht. Dementsprechend kann auch das Gebot der Chancengleichheit nicht verletzt werden (wie hier Mrozynski, a. a. O., S. 461). Mit diesem Begründungsansatz ist gleichzeitig sichergestellt, dass für den Fall eines – anders als heute – bedarforientierten Abschlusses von Pflegesatzvereinbarungen die Regeln des Vergaberechts eingehalten werden müssen.
Rz. 74
Damit ist noch nicht geklärt, ob die Regeln des Wettbewerbsrechts im Übrigen Anwendung finden. Problematisch ist dies nicht zuletzt wegen der in § 79 geschaffenen Kompetenz zum Abschluss von Rahmenvereinbarungen. Vor allem dann, wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung (Komm. zu § 79) eine unmittelbare Drittwirkung solcher Vereinbarungen auch gegenüber Außenseitern annimmt, stellt sich die Frage der Vereinbarkeit solcher Rahmenvereinbarungen mit Art. 81 EGV (Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen) und Art. 82 EGV (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung). Voraussetzung ist freilich, dass die Sozialhilfeträger Unternehmen im Sinne dieser Bestimmungen sind. Hierzu hat der EuGH entschieden, dass Einrichtungen, die lediglich an der Verwaltung des Systems der sozialen Sicherheit mitwirken, deren Arbeit dabei auf dem Prinzip der Solidarität beruht und ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird und die keinen wesentlichen Einfluss auf den Leistungskatalog nehmen können, keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben und daher auch keine Unternehmenseigenschaft besitzen (Urteil v. 16.3.2004, C-264/01 [AOK-Bundesverband u. a.]; ähnlich zuvor bereits Urteil v. 17.2.1993, C-159 und 160/91 [Poucet und Pistre]). Diese Kriterien treffen auch auf die Sozialhilfeträger bei Abschluss von Pflegesatz- und Rahmenvereinbarungen zu.