Rz. 57
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen sind vom Einkommen abzusetzen, wenn sie entweder gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Hiermit will der Gesetzgeber einerseits gewährleisten, dass dem Leistungsberechtigten ausreichende Mittel für seinen Versicherungsschutz verbleiben, und andererseits verhindern, dass durch unangemessene Versicherungen die Voraussetzungen zum Sozialhilfebezug erst geschaffen werden.
Rz. 58
Bei den Versicherungen ist zu unterscheiden zwischen den gesetzlich vorgeschriebenen, denen sich der Hilfesuchende nicht entziehen kann, und solchen Versicherungen, die er freiwillig abschließt.
Rz. 59
Gesetzlich vorgeschrieben sind die Beiträge zur Pflegeversicherung für privat Krankenversicherte (§ 23 SGB XI) oder zu berufsständischen Versorgungseinrichtungen (Versorgungswerke) bzw. Kammern (Rechtsanwalts-, Handwerks- oder Industrie- und Handelskammer) sowie bestimmte Haftpflichtversicherungen wie z. B. die Berufshaftpflicht (Schmidt, in: jurisPK-SGB XII, § 82 Rz. 91 ff.; zum BSHG: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 25.1.1988, 8 A 1052/86). Die Kfz-Haftpflichtversicherung (in Höhe der gesetzlichen Mindestdeckungssumme) ist zwar gesetzlich vorgeschrieben, beruht jedoch auf der freiwilligen Entscheidung, ein Kfz zu halten. Ist es dem Leistungsberechtigten zuzumuten, auf sein Kfz zu verzichten (z. B. weil er es nicht für eine Berufstätigkeit oder anderen sozialhilferechtlich anerkannten Zwecken benötigt), sind die entsprechenden Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung nicht abziehbar (BSG, Urteile v. 18.3.2008, B 8/9b SO 11/06 R, und v. 4.4.2019, B 8 SO 10/18 R; zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteil v. 29.11.1989, 4 A 205/88; offen gelassen vom BVerwG, Urteil v. 4.6.1981, 5 C 12/80). Dasselbe gilt für eine Tierhalterhaftpflichtversicherung (zum SGB II: BSG, Urteil v. 8.2.2017, B 14 AS 10/16 R; zum BSHG: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 25.1.1988, 8 A 1052/86). Nicht abzusetzen sind ferner Gebühren, wie die Fernseh- und Rundfunkgebühren oder die Kanal-, Schornstein- und Müllabfuhrgebühren (vgl. zum BSHG: Bay. VGH, Urteil v. 31.5.1968, 162 III 66).
Rz. 60
Freiwillige Versicherungen sind ihrem Grund nach angemessen, wenn sie den Hilfebedürftigen in ähnlicher Weise vor den Wechselfällen des Lebens schützen wie die Sozialversicherung. Ist der Hilfebedürftige in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung freiwillig versichert, so sind seine Beiträge nach Grund und Höhe immer angemessen. Das gilt auch für Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für Selbständige (zum SGB II: BSG, Urteil v. 1.6.2010, B 4 AS 67/09 R). Der Abschluss einer privaten Kranken-, Pflege- oder Rentenversicherung ist zumindest dem Grunde nach angemessen (vgl. auch § 32). Es ist zu prüfen, ob der Hilfebedürftige einen möglichen Bedarf versichert, der bei Eintritt des Schadensfalls durch die Sozialhilfe abgedeckt werden müsste (zum BSHG: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 13.11.1979, VIII A 80/78). Die "Angemessenheit" von privaten Versicherungen beurteilt sich sowohl danach, für welche Lebensrisiken (Grund) und in welchem Umfang (Höhe) Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze solche Aufwendungen zu tätigen pflegen, als auch nach der individuellen Lebenssituation des Hilfesuchenden (zum GSiG: BSG, Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 13/08 R; zum BSHG: BVerwG, Urteile v. 27.6.2002, 5 C 43/01; anders zur Arbeitslosenhilfe BSG, Urteil v. 9.12.2004, B 7 AL 24/04 R). Ansonsten ist entscheidend, was eine vernünftige und vorausschauend planende Vergleichsperson ohne überzogenes Sicherheitsbedürfnis mit einem Einkommen knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze in einer ansonsten vergleichbaren Lage für sinnvoll und tragbar erachten würde (LSG Hessen, Beschluss v. 9.6.2006, L 9 SO 13/06 ER; zum BSHG: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 11.7.2001, 12 A 2727/00). Dies ist der Fall, wenn die jeweilige Versicherung bei diesen Vergleichspersonen üblich ist, d. h. mehr als 50 % der Haushalte mit Einkünften knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze eine entsprechende Versicherung abschließen (zum GSiG: BSG, Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 13/08 R).
Rz. 61
Einzelfälle:
Ausbildungsversicherung: nicht abzugsfähig (zum SGB II: Bay. LSG, Beschluss v. 25.6.2010, L 7 AS 404/10 B ER; zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteil v. 26.6.1962, IV A 75/61);
Aussteuerversicherung: nicht abzugsfähig (zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteil v. 26.6.1962, IV A 75/61, IV A 54/61; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 5.5.1998, 7 S 2309/97; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 82 Rz. 94);
Diebstahlversicherung: abzugsfähig (zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteil v. 26.6.1962, IV A 45/61);
Feuerversicherung: abzugsfähig (zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteil v. 26.6.1962, IV A 45/61);
Haftpflichtversicherung: abzugsfähig, sofern sie sich im Rahmen des Üblichen hält (BSG, Urteil v. 9.6.2011, B 8 SO 20/09 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 30.10.2008, L 9 SO 12/06);
Hausratversicherung: abzugsfähig (BSG, Urteil v. 9.6.20...