2.1 Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften (Abs. 1)
Rz. 5
Leistungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften sind Zuwendungen, die von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts aufgrund eines Gesetzes, einer Rechtsverordnung, einer Satzung oder einer Verwaltungsvorschrift (zum BSHG: OVG Lüneburg, Urteil v. 27.10.1989, 4 A 144/88; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 83 Rz. 5; Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 83 Rz. 6; Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 83 Rz. 7) bzw. Förderrichtlinie erbracht werden. Hierzu gehören in erster Linie Sozialleistungen (vgl. § 11 Satz 1 SGB I), nicht jedoch Dienstbezüge von Beamten, Steuervergünstigungen (zum BSHG: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 13.11.1979, VIII A 80/78) oder Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage (zur Aufwandsentschädigung für Teilnahme an Medikamentenstudie: SG Augsburg, Urteil v. 28.10.2010, S 15 SO 113/10). Nicht anwendbar ist die Vorschrift auch auf öffentlich-rechtliche Verträge (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 83 Rz. 5; Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 83 Rz. 7). Eine Motivationszuwendung für ein Arbeitstraining ist Einkommen, bleibt aber als Zuwendung der Freien Wohlfahrtspflege nach § 84 Abs. 1 anrechnungsfrei, wenn sie durch ein Integrationsunternehmen der Freien Wohlfahrtspflege gezahlt wurde (BSG, Urteil v. 28.2.2013, B 8 SO 12/11 R).
2.2 Ausdrücklich genannter Zweck (Abs. 1)
Rz. 6
Die Leistungen müssen für einen ausdrücklich genannten (konkret-individuellen) Zweck gewährt werden (BSG, Urteil v. 11.12.2007, B 8/9b SO 20/06 R). Die Zweckbestimmung muss sich ohne aufwendige Auslegung direkt aus der Vorschrift, ihren Gesetzesmaterialien oder den Leistungsvoraussetzungen i. V. m. dem Kontext der Regelung herleiten lassen; es genügt, wenn sich die Zweckbestimmung in dem bewilligenden Bescheid oder in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannt ist (BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 17/09 R, Geiger, in: LPK-SGBXII, § 83 Rz. 4; a. A.: Lücking, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 83 Rz. 7; wohl auch Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 83, Rz. 8; enger: BSG, Urteile v. 3.12.2002, B 2 U 12/02 R, und v. 30.9.2008, B 4 AS 19/07 R; zum BSHG: BVerwG, Urteil v. 12.4.1984, 5 C 3/83). Dabei muss das Wort "Zweck" im Text nicht verwendet werden, die gesetzgeberische Intention kann auch durch Worte wie "zur Sicherung" oder "zum Ausgleich" umschrieben werden (BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 17/09 R).
Rz. 7
Zweckbestimmte öffentlich-rechtliche Leistungen sind nur dann auf die Sozialhilfe anzurechnen, wenn sie demselben Zweck dienen. Diese Zweckidentität liegt vor, wenn beide Leistungen denselben Bedarf decken sollen. Wie sich aus der Formulierung "nur so weit" in Abs. 1 ergibt, kann die Zweckidentität auch nur teilweise bestehen. Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind daher Leistungen, die über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehen und einen anderen Zweck verfolgen als die im Einzelfall in Frage stehende Sozialhilfe (BSG, Urteil v. 23.03.2010, B 8 SO 17/09 R). Um die Zweckidentität zu prüfen, ist folgendes dreistufiges Programm zu durchlaufen: Zunächst ist zu prüfen, ob sich ein ausdrücklich genannter finaler Zweck der öffentlich-rechtlichen Leistung ermitteln lässt. Ist dies der Fall, so ist im zweiten Schritt der Zweck der Sozialhilfeleistung herauszuarbeiten. Anschließend sind die beiden Zwecke einander gegenüberzustellen, um festzustellen, ob sie ganz oder teilweise zweckidentisch oder zweckfremd sind. Lässt sich schon kein ausdrücklicher Zweck der Leistung feststellen, ist sie also zweckneutral, dann ist sie nach § 82 Abs. 1 Satz 1 als Einkommen zu berücksichtigen (zum BSHG: BVerwG, Urteil v. 12.4.1984, 5 C 3/83).
2.3 Beispiele für zweckfremde, -neutrale und -identische Leistungen
Rz. 8
- Abwrackprämie: zweckfremd (vgl. zum SGB II: LSG Thüringen, Beschluss v. 27.7.2009, L 7 AS 535/09 ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 22.9.2009, L 2 AS 315/09 B ER; LSG Bayern, Beschluss v. 21.12.2009, L 7 AS 831/09 B ER; LSG Hessen, Beschluss v. 15.1.2010, L 6 AS 515/09 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 16.6.2010, L 12 AS 807/10 B ER; a. A. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 3.7.2009, L 20 B 59/09AS ER);
- Arbeitslosengeld I (§ 117 SGB III): zweckneutral;
- Aufstiegsfortbildungsförderung (Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung – AFBG): teilweise zweckfremd ("Ausbildung"), teilweise zweckidentisch (Hilfe zum Lebensunterhalt);
- Aufwandsentschädigungen für ehrenamtliche Tätigkeiten: zweckfremd (zum SGB II: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil v. 11.5.2011, L 5 AS 24/08; zum BSHG: OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 10.1.1989, 8 A 1753/87; OVG Berlin, Urteil v. 24.11.1988, 6 B 71.87; nicht: Aufwandsentschädigung für Teilnahme an Medikamentenstudie: SG Augsburg, Urteil v. 28.10.2010, S 15 SO 113/10);
- Ausbildungsgeld (§ 104 Abs. 1 Nr. 3, § 107 SGB III): zweckneutral, aber Freistellung nach § 82 Abs. 3 Satz 3 (BSG, Urteil v. 23.3.2010, B 8 SO 17/09 R);
- Ausgleichsrente (§§ 32, 41, 47 BVG): zweckneutral (zum BSHG: BVerwG, Urteil v. 19.6.1984, 5 C 8/81);
- BAföG (§§ 1 ff. BAföG): teilweise zweckfremd ("Ausbildung", vgl. § 1 BAföG; zum SGB II: BSG, Urteil v. 17.3.2009, B 14 AS...