0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde mit Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) eingeführt, trat am 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1 des genannten Gesetzes) in Kraft und ist seither unverändert geblieben. Sie übertrug § 78 BSHG inhaltsgleich in das SGB XII (BT-Drs. 15/1514 S. 65 zu § 78).
1 Allgemeines
Rz. 2
In der Regel sind Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege nicht auf die Sozialhilfe anzurechnen. Das Verhältnis zwischen Kirchen und Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts sowie den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege als Träger eigener sozialer Aufgaben einerseits und den staatlichen Trägern der Sozialhilfe andererseits regelt § 5. Dagegen sollen (intendiertes Ermessen) freiwillige Zuwendungen anderer nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Anrechnung für den Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde (Abs. 2). Dadurch soll die private Initiative, Hilfesuchenden unter die Arme zu greifen, gefördert werden. Beruht die Zuwendung jedoch auf einer sittlichen oder rechtlichen Pflicht, ist sie auf die Sozialhilfe anzurechnen. Das SGB II enthält in § 11a Abs. 4 und 5 vergleichbare Regelungen.
2 Rechtspraxis
2.1 Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege (Abs. 1)
Rz. 3
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liegt eine Zuwendung vor, wenn sie in Ergänzung zu den Leistungen der Sozialhilfe zum Wohle des Leistungsberechtigten und nicht als Gegenleistung im Zusammenhang mit einem Austauschvertrag i. S. einer synallagmatischen Verknüpfung gegenseitiger Verpflichtungen – etwa einem Arbeitsvertrag – erbracht wird. Ob eine Leistung freiwillig erbracht wird oder den jeweiligen Träger der freien Wohlfahrtspflege eine rechtliche oder sittliche Verpflichtung zur Erbringung der Leistung trifft, ist für das Tatbestandsmerkmal der Zuwendung danach ohne Bedeutung (vgl. BSG, Urteil v. 28.2.2013, B 8 SO 12/11 R). Zur Vereinfachung lässt sich jedoch sagen: Jede freiwillige Sach- oder Geldleistung und jede Leistung die nicht auf einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht beruht, stellt eine Zuwendung i. S. der Norm dar (so Geiger, in Bieritz-Harder/Conradis/Thie, SGB XII, § 84 Rz. 2; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 84 Rz. 4). Darüber hinaus können Zuwendungen nach der Rechtsprechung des BSG aber auch (Geld-)Leistungen sein, die auf einer rechtlichen Verpflichtung beruhen (vgl. BSG, a. a. O.).
Danach stellt nicht jeder Vorteil, den ein Hilfeempfänger von der freien Wohlfahrtspflege erhält, eine Zuwendung i. S. d. § 84 Abs. 1 dar. Ausgenommen sind insbesondere Entgelte aus (arbeits-)vertraglichen Verhältnissen (Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 84 Rz. 6). Gewährt z. B. eine Werkstatt für behinderte Menschen, die von einem Verband der freien Wohlfahrtspflege betrieben wird, ein Entgelt, so geschieht dies aufgrund einer vertraglichen Pflicht. Dies hat zur Folge, dass das Entgelt als Einkommen anzurechnen ist (zum BSHG: OVG Berlin, Urteil v. 14.5.1981, 6 B 48.80). Dasselbe gilt für das Taschengeld, das der Absolvent eines freiwilligen sozialen Jahres von einem Träger der freien Wohlfahrtspflege aufgrund vertraglicher Pflicht erhält (zum SGB II: Sächs. LSG, Urteil v. 5.4.2007, L 3 AS 22/06).
Rz. 4
Unter der freien Wohlfahrtspflege sind neben den in § 5 aufgeführten Verbänden der freien Wohlfahrtspflege wie Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland auch sonstige gemeinnützige und freie Vereinigungen, Stiftungen, Gesellschaften, Vereine oder Personen zu verstehen, die Bedürftige betreuen (so auch Steimer. in: Mergler/Zink, SGB XII, § 84 Rz. 3; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 84 Rz. 6; offen gelassen: BSG, Urteil v. 28.2.2013, B 8 SO 12/11 R). Der Begriff der freien Wohlfahrtspflege in § 84 Abs. 1 unterscheidet sich von dem Wortlaut des § 5, der von "Verbänden der freien Wohlfahrtspflege" spricht. Dies spricht für einen gegenüber § 5 weiteren Anwendungsbereich (so auch Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 84 Rz. 3; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 84 Rz. 6). Das BSG definiert den Begriff der freien Wohlfahrtspflege in Anlehnung an § 66 Abs. 2 AO. Nach der Rechtsprechung des BSG unterstützt die freie Wohlfahrtspflege die Sozialhilfeträger durch private Organisationen (nicht als beliehene Träger öffentlicher Verwaltung) bei ihren Aufgaben nach dem SGB XII angemessen, ist in der Gestaltung ihrer Arbeit aber völlig frei (vgl. auch § 5 SGB XII). Unter Wohlfahrtspflege ist deshalb eine planmäßige, ohne Gewinnerzielungsabsicht und zum Wohle der Allgemeinheit neben dem Staat und öffentlichen Trägern ausgeübte unmittelbare vorbeugende oder abhelfende Betreuung und/oder Hilfeleistung für gesundheitlich sittlich oder wirtschaftlich gefährdete, notleidende oder sonst sozial benachteiligte Personen die auch über die Ziele einer bloßen Selbsthilfeorganisation hinausgeht, zu verstehen (BSG, Urteil v. 28.2.2013, B 8 SO 12/11 R).
Rz. 5
Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege sind ausnahmsweise als Einkommen zu ber...