Rz. 3
Aus dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 1 ergibt sich, dass eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers nicht besteht, wenn der Hilfesuchende sich durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder Leistungen von anderen, insbesondere von Angehörigen oder Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. § 2 Abs. 1 stellt allerdings keine isolierte Ausschlussnorm dar, was sich insbesondere aus der Systematik es SGB XII ergibt (vgl. BSG, Urteil v. 29.9.2009, B 8 SO 23/08 R). § 90 konkretisiert das allgemeine Nachrangprinzip in Bezug auf den Vermögenseinsatz und regelt in welchem Rahmen ein Hilfesuchender vorhandenes Vermögen einsetzen oder ausnahmsweise nicht einsetzen muss.
Rz. 4
Bei der Leistungsberechnung ist das Vermögen des Hilfesuchenden sowie der in §§ 19 Abs. 3, 20, 27 Abs. 2 und 43 Abs. 1 genannten Personen zu berücksichtigen, also das Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners, des Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft und, wenn der Hilfesuchende minderjährig und unverheiratet ist, auch das Vermögen der Eltern (Einsatzgemeinschaft). Dies gilt auch für die Leistungen des § 74 (Übernahme von Bestattungskosten, vgl. BSG, Urteil v. 4.4.2019, B 8 SO 10/18 R). Für lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaften gilt dies durch die Inbezugnahme des § 20 Satz 1 auch für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bereits für Zeiträume vor der Anpassung des § 43 Abs. 1 Satz 2 zum 1.1.2011 (vgl. BSG, Urteil v. 18.7.2019, B 8 SO 6/18 R). Der Gesetzgeber geht typisierend davon aus, dass im Rahmen einer Einsatzgemeinschaft die Personen einander auch tatsächlich die entsprechenden Unterstützungsleistungen erbringen. Werden Unterstützungsleitungen entgegen dieser Annahme nicht erbracht, kann eine sog. unechte Sozialhilfe nach § 19 Abs. 5 gegen Ersatz der Aufwendungen zu leisten sein (vgl. BSG, Urteil v. 6.12.2018, B 8 SO 2/17 R).
2.1 Grundsatz (Abs. 1)
Rz. 5
Nach Abs. 1 ist grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen.
2.1.1 Vermögensbegriff
Rz. 6
Der Begriff des Vermögens wird gesetzlich nicht definiert. Nach der Rechtsprechung des BSG fallen hierunter grundsätzlich alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst werden auch Forderungen bzw. Ansprüche gegen Dritte, soweit sie nicht normativ dem Einkommen zuzurechnen sind (vgl. BSG, Urteil v. 18.3.2008, B 8/9b SO 9/06 R, Rz. 15; Urteil v. 25.8.2011, B 8 SO 19/10 R; Urteil v. 9.12.2016, B 8 SO 15/15 R). Einzusetzen sind danach alle aktiven Vermögensbestandteile. Verbindlichkeiten oder Schulden gegenüber Dritten dürfen als solche nicht in Abzug gebracht werden. Es erfolgt also keine Saldierung von Aktiva und Passiva (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 4.8.2016, L 7 SO 1394/16). Schulden und Verbindlichkeiten können nur soweit berücksichtigt werden, wie sie dinglich gesichert sind, z. B. durch Eintragung einer Grundschuld oder Hypothek. Die dingliche Belastung kann den Wert eines Vermögensgegenstandes reduzieren. Auf den Rechtsgrund des Vermögenserwerbs kommt es nicht an. Zum Vermögen gehören z. B. (Bar-)Geld und Geldeswerte (Bank- und Sparguthaben, Schecks), Mobilien (Kfz, Schmuck, Kunstgegenstände, Sammlungen), Immobilien (Grundstücke), Forderungen (z. B. Rückforderungsanspruch des verarmten Schenkers nach § 528 BGB oder Rückabwicklungsansprüche z. B. nach Kündigung einer Kapitallebensversicherung, vgl. BSG, Urteil v. 25.8.2011, B 8 SO 19/10 R) und sonstige Rechte (Aktien, Wertpapiere, Nießbrauchsrechte, Urheberrechte, Dienstbarkeiten, Geschäftsanteile etc.).
Rz. 7
Zu berücksichtigen ist nur das tatsächlich vorhandene Vermögen. Dem Hilfesuchenden kann grundsätzlich nicht entgegengehalten werden, dass er sein Vermögen vermindert (z. B. durch unwirtschaftliches Verhalten). Auch das vorsätzliche bzw. grob fahrlässige Herbeiführen der Leistungsvoraussetzungen führt – anders als bei den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – nicht zu einem Entfallen des Leistungsanspruchs, sondern nur zu einer Erstattungspflicht (aufgrund eines Bescheides nach § 103 Abs. 1, vgl. BSG, Urteil v. 258.2011, B 8 SO 19/10 R). Vermindert ein Leistungsberechtigter sein Vermögen in der Absicht, die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung herbeizuführen oder setzt er sein unwirtschaftliches Verhalten trotz Belehrung fort, können Leistungen, unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 26 Abs. 1, ausnahmsweise bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden.
Rz. 8
Vorhandenes, zu verwertendes und verwertbares Vermögen ist so lange zu berücksichtigen, wie es vorhanden ist (vgl. BVerwG, Urteil v. 19.12.1997, 5 C 7-96; BSG, Urteil v. 25.8.2011, B 8 SO 19/10 R; Urteil v. 20.9.2012, B 8 SO 20/11 R; ebenso im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende des SGB II, vgl. BSG, Urteil v. 30.7.2008, B 14 AS 14/08 B). Ein sog. fiktiver Vermögensverbrauch scheidet in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage hierfür aus (vgl. BVerwG, Urteil ...