Rz. 40
Der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit bestimmt sich nach der vom Bundesverwaltungsgericht zu § 88 BSHG entwickelten Kombinationstheorie, der sich das BSG angeschlossen hat. Danach ist die Angemessenheit nach Maßgabe und Würdigung aller in Nr. 8 bezeichneten personen-, sach- und wertbezogenen Kriterien zu beurteilen (BVerwG, Urteil v. 17.1.1991, 5 C 53/86; BSG, Urteil v. 27.2.2019, B 8 SO 15/17 R m. w. N.): der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (z. B. behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt, der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes. Diese Kriterien sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter- und gegeneinander abzuwägen. Soweit z. B. ein Kriterium die Grenze der Angemessenheit überschreitet, führt dies nicht automatisch zur Unangemessenheit des Hausgrundstücks (vgl. BSG, Urteile v. 24.3.2015, B 8 SO 12/14 R und v. 19.5.2009, B 8 SO 7/08 R).
Rz. 41
Befinden sich in einem Haus 2 Wohnungen, die zusammen die Angemessenheitsgrenze überschreiten und wird nur eine der Wohnungen zur Deckung des Grundbedürfnisses Wohnen genutzt, unterliegt die andere Wohnung grundsätzlich nicht dem Schutz der Nr. 8. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die zweite Wohnung nicht z. B. durch Vermietung verwertet wird, sodass schon deshalb eine Nichtberücksichtigung wegen einer anderweitigen Verwertungsform (als dem Verkauf) von vornherein ausscheidet (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 11.7.2016, L 20 SO 241/12).
Rz. 42
Das Gesetz nennt zunächst die Zahl der Bewohner. Die Bewohner sind zu den Wohnflächen in Bezug zu setzen. In einem 4-Personen-Haushalt ist die Hausgröße bei Familienheimen bis zu einer Wohnfläche von 130 qm und bei Eigentumswohnungen bis zu einer Wohnfläche von 120 qm (bei zu einer Mindestgröße von 80 qm) generell angemessen. Für Haushalte mit weniger als 4 Personen ist die Wohnungsgröße um 20 qm pro Person zu verringern. Wohnen im Haushalt mehr als 4 Personen, so erhöht sich die angemessene Wohnfläche für jeden weiteren Bewohner um 20 qm. Bei einer Überschreitung der Wohnflächenobergrenze um nicht mehr als 10 % ist mit Rücksicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz noch von einer angemessenen Wohnfläche auszugehen. Das BSG hat sich für die Beurteilung der angemessenen Hausgröße "aus Gründen der Harmonisierung" der Rechtsprechung der für das Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) angeschlossen (BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 7/08 R; zur angemessenen Größe einer selbstgenutzten Eigentumswohnung vgl. BSG, Urteil v. 7.11.2006, B 7b AS 2/05 R).
Rz. 43
Diese Grenzen können bei zusätzlichem Wohnbedarf überschritten werden. Hierzu zählen vor allem besondere persönliche (z. B. behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen) oder berufliche Bedürfnisse. Bei gleichzeitiger gewerblicher Nutzung des Hausgrundstücks hat das BSG eine Erhöhung des angemessenen Wohnbedarfs für möglich gehalten (vgl. BSG, Urteil v. 7.11.2006, B 7b AS 2/05 R). Wird eine Person im Haushalt gepflegt, können sich die Wohnflächengrenzen erhöhen. Rollstuhlfahrer haben einen zusätzlichen Flächenbedarf von 15 qm (BVerwG, Urteil v. 1.10.1992, 5 C 28/89).
Ob ein unangemessenes Hausgrundstück teilbar ist, ist keine Frage der Angemessenheit der Größe, sondern erst der Verwertbarkeit eines unangemessenen Hausgrundstücks (vgl. BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 7/08 R).
Rz. 44
Für die Bewertung der Angemessenheit der Grundstücksgröße können Richtgrößen herangezogen werden: Danach sind bei einem Reihenhaus bis zu 250 qm, bei einer Doppelhaushälfte bis zu 350 qm und bei einem frei stehenden Haus bis zu 500 qm angemessen (BayObLG, Beschluss v. 5.9.1995, 3Z BR 55/95; Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rz. 58; Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 90 Rz. 59). Das BSG hat darauf hingewiesen, dass diese Grenzwerte allenfalls Anhaltspunkte bieten können, die überschritten werden können, wenn sich die Größe des betroffenen Hausgrundstücks im Rahmen der örtlichen Gegebenheiten hält (vgl. BSG, Urteil v. 19.5.2009, B 8 SO 7/08 R).
Rz. 45
Zuschnitt und Ausstattung des Wohngebäudes sind unangemessen, wenn sie den Standard übersteigen, der für den öffentlich geförderten bzw. steuerbegünstigten Wohnungsbau üblich ist (z. B. Swimming Pool, Luxusbäder). Eine behinderungsbedingte Zusatzausstattung wie der Einbau eines Aufzuges, Auffahrrampen oder eine zusätzliche Garage sind unschädlich (vgl. Giere, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, § 90 Rz. 59).
Rz. 46
Schließlich ist der (Verkehrs-)Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes zu berücksichtigen. Wertbestimmend ist vor allem die Lage des Grundstücks, wobei Maßstab für die Angemessenheit des Verkehrswerts die Verhältnisse am Wohnort sind. Denn der Hilfesuchende darf nicht darauf verwiesen werden, dass er an einem anderen Ort kostengünstiger leben könnte (BVerwG, Urteil v. 17.1.1991, 5 C 53/86). Der Verkehrswert muss sich im unteren Bereich der Verkehrswerte vergleichbarer...