2.1 Abweichung von der Zuständigkeitsregelung ist unzulässig
Rz. 12
Von der Regel des Abs. 1 Satz 1, wonach für die Sozialhilfe örtlich zuständig der Träger der Sozialhilfe ist, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält, kann nicht, auch nicht im Wege der Vereinbarung, abgewichen werden (vgl. Rz. 14; Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 13; Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 34). Sie ist unabdingbare Schutzvorschrift für den "Hilfesuchenden" (BVerwG, Urteil v. 28.11.1974, V C 18/74; Deckers, in: Wahrendorf/Grube/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 5).
Rz. 13
Insofern ist Abs. 1 Satz 1 mehr als nur eine reine Verfahrens- oder Ordnungsvorschrift für die Träger der Sozialhilfe (Hohm, in: Schellhorn e.a., SGB XII, § 98 Rz. 1; Deckers, in: Wahrendorf/Grube/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 5; Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rz. 8). Sie erfüllt die rechtsstaatliche Funktion eines Schutzes des Leistungssuchenden insofern, als dieser sich kraft der gegebenen gesetzlichen Zuweisung immer an den Sozialhilfeträger wenden kann, in dessen Bereich er sich (aus welchen Gründen auch immer) im Zeitpunkt des Eintritts der ihn treffenden Not- oder Bedarfslage befindet (vgl. auch Rz. 2).
Rz. 14
Gelegentlich haben Sozialhilfeträger zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung und der Vermeidung langwieriger Kostenerstattungsverfahren den Versuch unternommen, die Regelung des Abs. 1 Satz 1 im Wege der gegenseitigen Vereinbarung abzuändern. Demgegenüber wurden auf der Grundlage solcher Vereinbarungen erbrachte Sozialhilfeleistungen von dem gesetzlich unzuständigen Sozialhilfeträger als nicht rechtmäßig gewertet (vgl. Rz. 12; HessVGH, Urteil v. 30.4.1996, 9 UE 1079/92; Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rz. 13), sodass in diesen Fällen auch keine Heranziehung Dritter möglich war, da diese die Rechtmäßigkeit der Leistung voraussetzt.
2.2 Funktion der Zuständigkeitsregelung
Rz. 15
Abs. 1 Satz 1 bestimmt, welcher von mehreren infrage kommenden sachlich zuständigen Trägern zur Gewährung der Hilfe im jeweiligen Einzelfall nicht nur berechtigt, sondern auch zugleich verpflichtet ist (Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rz. 8). Damit wirkt diese Vorschrift in drei Richtungen (Funktionen):
- Für den Sozialhilfeträger ist die örtliche Zuständigkeitsregelung originärer Bestandteil der Ordnung des allgemeinen Staats- und Verwaltungsaufbaus (Deckers, in: Wahrendorf/Grube/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 5).
- Der Leistungssuchende erhält Auskunft darüber, an welche Behörde er sich wenden muss. Für ihn hat sie die Funktion einer sozialen Schutz- und Begünstigungsvorschrift (BVerwG, Urteil v. 5.3.1998, 5 C 12/97).
- Schließlich regelt sich über die Zuständigkeitszuweisung auch die Frage der Kostentragung. Denn im Sozialhilferecht hat der zuständige Träger auch die Kosten der Hilfe zu tragen (Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rz. 9). Daraus resultierende ungleiche Belastungsverteilungen werden einerseits über das Kostenerstattungsrecht, andererseits über Landes- und Bundesbeteiligungen an den Kosten ausgeglichen. Dieser Kostenausgleich wirkt im Innenverhältnis der Behörden untereinander und hat im Hinblick auf das Rechtsverhältnis zwischen dem zuständigen Sozialhilfeträger und dem Leistungssuchenden keinerlei Auswirkungen.
2.3 Tatsächlicher Aufenthalt (Abs. 1 Satz 1)
Rz. 16
Grundsätzlicher Anknüpfungspunkt ist der tatsächliche Aufenthalt (Abs. 1 Satz 1). Damit ist für den Leistungssuchenden ein besonderer Schutz normiert, die Anknüpfung an den tatsächlichen Aufenthalt stellt die denkbar einfachste und effektivste Zuweisung dar (Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 22). Die damit erreichte Ortsnähe ermöglicht eine zügige Sachverhaltsaufklärung, insbesondere auch zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen (BVerwG, Urteil v. 23.6.1994, 5 C 26/92).
Rz. 17
Tatsächlicher Aufenthalt bedeutet die körperliche Anwesenheit des Leistungssuchenden im Bereich eines Sozialhilfeträgers – entweder eines örtlichen oder eines überörtlichen (Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 23; Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 8; Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 6). Da sowohl die örtlichen als auch die überörtlichen Träger der Sozialhilfe das Bundesgebiet lückenlos abdecken gibt es im Bereich der Bundesrepublik keinen denkbaren tatsächlichen Aufenthaltsort, der sich nicht im Bereich sowohl eines örtlichen, als auch eines überörtlichen Sozialhilfeträgers befindet. Damit ist die Zuständigkeitsregelung absolut lückenlos.
Rz. 18
Die Vorschrift verweist auf "die Leistungsberechtigten". Das ist in doppelter Hinsicht unzutreffend: Zum einen ist noch gar nicht bekannt, ob die betreffende Person leistungsberechtigt ist, sie ist in dem Moment der Begründung der örtlichen Zuständigkeit leistungssuchend. Zum anderen müssen es nicht mehrere Leistungsberechtigte sein – wie die Vorschrift dem Wortlaut nach vorschreibt, sondern es reicht bereits aus, wenn ein einziger Leistungssuchender sich im Bereich des Sozialhilfeträgers aufhält. Die Sprachverwirrung ist offenbar dem Bemühen um "Gendergerechtigkeit" und der Vermeidung (tatsächlicher oder vermeintlicher) Diskrimi...