Rz. 35
Die Zuständigkeit für eine stationäre Leistung in einer Einrichtung richtet sich nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Leistungssuchenden im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung oder in den 2 letzten Monaten vor der Aufnahme (Abs. 2 Satz 1). Das Gesetz verwendet die Begriffe gewöhnlicher Aufenthalt und gewöhnlicher Aufenthaltsort synonym, eine sachliche Unterscheidung ist damit nicht bezweckt (Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 34; vgl. auch Rz. 27).
Rz. 36
Hat jemand den Willen, einen Ort nicht nur vorübergehend, etwa besuchsweise, zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen und verwirklicht er diesen Willen, so begründet er dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt (ständige Spruchpraxis der ZSpr., etwa ZSprSt. v. 18.10.2001, EuG 58 S. 158). Wesentlich kommt es dabei auf den Willen, also auf die subjektive Seite an. Das hat zur Folge, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt auch dann begründet wird, wenn trotz beabsichtigter längerer Dauer aus unvorhersehbaren Gründen der Aufenthalt dennoch nur kurz war (Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 13). Denn zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes ist ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich, es genügt vielmehr, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet bis auf weiteres i. S. eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BVerwG, Urteil v. 26.9.2002, 5 C 46/01; VG Oldenburg, Urteil v. 25.1.2008, 13 A 583/06; Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 37). Ein zeitlich unbedeutender Aufenthalt von einigen Stunden reicht allerdings nicht aus (Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 24; BVerwG, Urteil v. 18.5.2000, 5 C 27/99), ebenso wenig eine vorübergehende Notlösung von 3,5 Wochen (VGH München, Urteil v. 2.3.2005, 12 B 01.813). Ein zeitlich nicht befristeter "Zwischenaufenthalt" begründet dort den gewöhnlichen Aufenthalt (OVG Münster, Urteil v. 7.11.2003, 12 A 3187/01).
Rz. 37
Demgegenüber bestimmt § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I dass jemand dort den gewöhnlichen Aufenthalt hat, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen (OVG Koblenz, Beschluss v. 22.1.2002, 12 A 11101/01), dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Hier liegt erkennbar der Schwerpunkt auf den Umständen, aus denen auf den Willen geschlossen wird (Steimer, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 98 Rz. 37). Diese Legaldefinition gilt – mangels spezieller Vorschrift – auch im Bereich des SGB XII, allerdings mit der Maßgabe, dass dieser unbestimmte Rechtsbegriff unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck sowie Regelungszusammenhang der jeweiligen (Spezial-)Norm – hier also des § 98 – auszulegen ist (BVerwG, Urteil v. 31.8.1995, 5 C 11/94). Es ist nicht zu verkennen, dass der Wortlaut von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I tatsächlich die subjektive Seite vollkommen auszusparen scheint (Steimer, in: Mergler/Zink SGB XII, § 98 Rz. 43). Es kommt auf Umstände an, die auf ein nicht nur vorübergehendes Verweilen schließen lassen. Da im Sozialhilferecht der gewöhnliche Aufenthalt vom tatsächlichen Aufenthalt abzugrenzen ist, der tatsächliche Aufenthalt von einer Willensbetätigung nicht abhängig ist (ein solcher wird auch gegen oder ohne den Willen begründet), muss zur Abgrenzung dieser beiden Tatbestände ein subjektives Element hinzukommen. Denn die Betrachtung nur der äußeren Umstände vermag bei Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes nicht immer die Erkenntnis zuzulassen, ob ein solcher Aufenthalt von Anfang an für die Dauer geplant ist. Dieser Schluss lässt sich in diesen Fällen nur unter Zuhilfenahme des Willens des Betroffenen ermitteln (Treichel/Schoch, in: LPK-SGB XII, § 98 Rz. 22; Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 98 Rz. 24; Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 98 Rz. 15).
Rz. 38
Inzwischen tendiert die Rechtsprechung dazu, den objektiven Lebensumständen einschließlich eines gewissen zeitlichen Elements den Vorrang vor subjektiven Vorstellungen einzuräumen, die allerdings in zweiter Linie mit zu berücksichtigen sind (OVG Lüneburg, NDV-RD 2000 S. 73; OVG Münster, Urteil v. 12.9.2002, 12 A 4625/99). Die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes setzt jedenfalls eine tatsächliche Aufenthaltsnahme voraus (BVerwG, Urteil v. 7.7.2005, 5 C 9.04; VGH München, Urteil v. 22.2.2005, 12 B 00.1896). Nach OVG Koblenz (Urteil v. 11.5.2000, 12 A 10908/99) ist demgegenüber für die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes in erster Linie der Wille des Leistungssuchenden maßgebend. Nach dem oben Gesagten ist das kaum noch haltbar. Umstritten ist die Frage, ob eine Unterbringung im Übergangsheim (Aussiedler, Asylbewerber) einen gewöhnlichen Aufenthalt zur Folge haben kann. Dies wird mit dem Argument bestritten, dass hier kein Aufenthalt bis auf weiteres genommen werde (OVG Magdeburg, Beschluss v. 13.9.1999, A 3 638/98; OVG Saarland, Entscheidung v. 14.7.2003, 3 R 12/01). Freilich sprechen die tatsächlichen Umstände, unter denen derartige Unterbringungen statt...