0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift übernimmt inhaltlich unverändert die Heranziehungsregelungen des § 96 BSHG. Der verbleibende Regelungsgehalt des § 96 BSHG (Bestimmung der örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe) findet sich in § 3.
Die Vorschrift trat als Art. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) am 1.1.2005 (Art. 70 Abs. 1 des genannten Gesetzes) in Kraft und blieb seitdem unverändert
1 Allgemeines
Rz. 2
Um eine größere Ortsnähe zu erreichen, gibt die Vorschrift den Ländern die Ermächtigung zu bestimmen, dass und inwieweit Sozialhilfeträger örtliche Behörden zur Durchführung von Aufgaben der Sozialhilfe heranziehen können. Im Einzelnen gilt Folgendes:
Rz. 3
- Landesrecht kann bestimmen, dass und inwieweit die Kreise ihnen zugehörige Gemeinden oder Gemeindeverbände zur Aufgabendurchführung heranziehen können.
- Daneben können die Länder ebenfalls bestimmen, dass und inwieweit die überörtlichen Träger der Sozialhilfe, örtliche Träger der Sozialhilfe sowie diesen zugehörigen Gemeinden und Gemeindeverbänden zur Aufgabendurchführung heranziehen können.
Rz. 4
Die Heranziehung ändert an der Zuständigkeit nichts, es ist nur eine Durchführungsheranziehung. Die Regelung ist verfassungsgemäß (zur Vorgängervorschrift § 96 BSHG: BVerfG, Urteil v. 18.7.1967, 2 BvF 38/62). Es handelt sich weder um Amtshilfe (Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 99 Rz. 4) noch um eine Delegation (Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 99 Rz. 1).
Rz. 5
Die Heranziehungsbefugnis ist zu unterscheiden von der Ermächtigung des § 3 Abs. 2 Satz 1, der den Ländern das Recht einräumt, auch andere Stellen als kreisfreie Stellen und Landkreise zu örtlichen Trägern der Sozialhilfe zu bestimmen. Soweit davon Gebrauch gemacht wird, handelt es sich um eine echte, abschließende Aufgabenübertragung mit originärer Zuständigkeitszuordnung. Machen Länder von der Ermächtigung Gebrauch, geht die Heranziehungsbefugnis ins Leere. Der Gesetzgeber sollte deshalb eine Harmonisierung der Regelungen des § 3 Abs. 2 Satz 1 und des § 99 Abs. 1 ins Auge fassen. Das könnte in der Weise geschehen, dass in Abs. 1 nicht auf die Kreise als solche, sondern auf die örtlichen Träger Bezug genommen wird. Damit wäre zugleich ein Gleichklang zwischen den beiden Absätzen von § 99 hergestellt, indem in beiden Fällen nicht auf kommunale Körperschaften, sondern auf die (nach Bundes- oder Landesrecht bestimmten) Träger der Sozialhilfe abgestellt würde.
2 Rechtspraxis
2.1 Heranziehungsbefugnis der Kreise (Abs. 1)
Rz. 6
Das Landesrecht kann nicht bestimmen, ob die Kreise von der Heranziehungsbefugnis Gebrauch machen. Das Landesrecht kann ihnen nur diese Ermächtigung einräumen. Wieweit davon Gebrauch gemacht wird, bestimmen die Kreise selbst. Im Falle der Heranziehung von kreisangehörigen Gemeinden oder Gemeindeverbänden findet eine Verwaltungskostenerstattung nicht statt (OVG Frankfurt/Oder, Urteil v. 12.8.1999, 4 A 8/99), es sei denn, Landesrecht sieht dies vor (Deckers, in: Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 99 Rz. 5; Hohm, in: Schellhorn e.a:; SGB XII, § 99 Rz. 5).
Rz. 7
Soweit Körperschaften zur Durchführung von Sozialhilfeaufgaben herangezogen werden, sind alle damit zusammenhängenden Maßnahmen zugleich erfasst. Die Heranziehung ermächtigt also auch zur Überleitung von Ansprüchen (§ 93), zum Aufwendungs- und Kostenersatz, Kostenersatzansprüche (Mergler/Zink, BSHG-Kommentar, § 96 Rz. 17, unter Hinweis auf VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 29.10.1975, VI 1254/74).
Rz. 8
Dem heranziehungsbefugten Kreis verbleibt die Weisungsbefugnis. Das umfasst sowohl das Recht, generelle Weisungen als auch solche im Einzelfall zu erteilen (Rabe, in: Fichtner/Wenzel, SGB XII, § 99 Rz. 2). Nicht jedoch hat der Kreis ein Selbsteintrittsrecht, er kann also einen Einzelfall nicht zur Entscheidung an sich ziehen (Schmeller, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 99 Rz. 7).
Rz. 9
Die Widerspruchsbefugnis bleibt beim Kreis. Die Klage wiederum ist gegen die herangezogene Gemeinde zu richten (HessVGH, Urteil v. 1.10.1970, V OE 23/70).
2.2 Heranziehungsbefugnis des überörtlichen Trägers
Rz. 10
Sinngemäß gilt das zur Heranziehungsbefugnis der Kreise Gesagte mit der Ausnahme, dass auch die Widerspruchsbefugnis, wenn Landesrecht dies bestimmt, von der Heranziehung umfasst ist (Schmeller, in: Mergler/Zink, SGB XII, § 99 Rz. 9).