Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Kongruenz zwischen Verletztenrente des Unfallversicherungsträgers und Schmerzensgeldanspruch des Geschädigten oder dessen Anspruch auf Ausgleich vermehrter Bedürfnisse
Normenkette
SGB X § 117; SGB VI § 93
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 1 O 119/99) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 24.11.1999 verkündete Urteil der Zivilkammer 1 des LG Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.d. jew. beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Wert der Beschwer beträgt 78.157,34 DM.
Tatbestand
Die Klägerin macht ggü. der Beklagten einen Ausgleichsanspruch im Rahmen des Gesamtgläubigerausgleichs nach § 117 SGB X geltend.
Aufgrund des in seinem Tatbestand zusammengefassten Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug – auf welches Bezug genommen wird – hat das LG durch sein am 24.11.1999 verkündetes Urteil die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 78.157,34 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 3.9.1999 zu zahlen. Es hat ausgeführt, das Zivilgericht sei für die Entscheidung zuständig. Die Parteien bildeten eine Gesamtgläubigerschaft, auf die § 117 SGB X entsprechende Anwendung finde. Die Klageforderung sei begründet, weil die von der Klägerin entrichtete Verletztenrente auch nicht teilweise Mehraufwendungen der am 16.8.1994 durch einen Verkehrsunfall verletzten A.F. betreffe. Wegen der Begründung der Entscheidung des LG im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des genannten Urteils verwiesen.
Gegen diese ihr am 20.12.1999 zugestellte Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer am 19.1.2000 bei Gericht eingegangenen Berufung. Auf ihren am 27.1.2000 eingegangen Antrag ist die Frist für die Berufungsbegründung bis zum 20.3.2000 verlängert worden. Die Beklagte hat ihr Rechtsmittel mit am 20.3.2000 eingegangenem Schriftsatz begründet. Sie trägt unter Bezugnahme auf ihr Vorbringen im ersten Rechtszug weiter vor:
1. Trotz der übereinstimmenden Erklärung vor dem LG am 24.11.1999, mit einer Sprungrevision einverstanden zu sein (Bl. 62), sei ihre Berufung zulässig (Bl. 90 f.).
2. Die Klägerin sei gehindert, von ihr einen auf § 430 BGB gestützten Ausgleichsanspruch geltend zu machen, da sie nach dem eindeutigen Wortlaut des § 117 SGB X, der sich lediglich auf § 116 Abs. 2 und Abs. 3 SGB X beziehe, nicht Gesamtgläubiger seien. Dies ergebe sich aus der auf S. 2–4 der Berufungsbegründungsschrift v. 17.3.2000 aufgezeigten Entstehungsgeschichte des § 117 SGB X (Bl. 91–93). Für eine entsprechende Anwendung des § 117 SGB X auf anders gelagerte Fälle sei wegen der klaren Regelung in dieser Vorschrift durch den Gesetzgeber kein Raum. Die zeitlich vorausgegangene Entscheidung des BGH v. 4.3.1986 (VersR 1986, 810) betreffe gerade einen in § 116 Abs. 2 und Abs. 3 SGB X geregelten Fall (Bl. 93 f.).
3. Davon abgesehen stehe der Klägerin die Klageforderung nicht zu. Denn sie, die Beklagte, habe unter Verwendung der von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Berechnungsformel zu Recht aus der von der Klägerin an die Verletzte F. gezahlten Verletztenrente von monatlich 1.803,70 DM einen Teilbetrag von 838 DM unberücksichtigt gelassen. Denn der Gesetzgeber habe in § 93 Abs. 2 S. 2 SGB VI ausdrücklich geregelt, dass im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung die von der Berufsgenossenschaft nach einem Arbeitsunfall zu zahlende Verletztenrente sich einmal aus einem Teil zusammensetze, der die Lohnersatzfunktion betreffe, zum anderen den Ausgleich immaterieller Schäden diene, der der Höhe nach der Grundrente nach § 31 Bundesversorgungsgesetz (= BVG) entspreche. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte, wie der BT-Drucks. 11/4124, S. 174 (wiedergegeben auf S. 6 der Berufungsbegründung, Bl. 95) zu entnehmen sei. Der Teil der Verletztenrente, der keine Lohnersatzfunktion zukomme, sei im Verhältnis zu dem vom Schädiger hier in vollem Umfang auszugleichenden Erwerbsschaden nicht kongruent. Hieran scheitere jeder Ausgleichsanspruch der Klägerin (Bl. 95–97).
Weil für die Parteien die Aufteilungsregelung gem. § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI maßgebend sei, habe das LG für seine hiervon abweichende Ansicht nicht auf die allein auf § 10 Abs. 1 Wohngeldgesetz zugeschnittene Entscheidung des BVerwG v. 19.4.1996 (NVwZ-RR 1997, 293 ff.) abstellen dürfen (Bl. 95). Im Grunde gehe das BVerwG auch in dieser Entscheidung davon aus, dass der Grundrentenanteil in der Verletztenrente aufgrund seiner im Laufe der gesellschaftlichen Weiterentwicklung veränderten Funktion mit zivilrechtlichen immateriellen Schadensersatzansprüchen wie dem Schmerzensgeld und eben auch dem Schadensersatz wegen vermehrter Bedürfnisse vergleichbar sei. Es befinde sich im Einklang mit dem BVerfG, dem Bundesarbeitsgericht, dem Bundessozialgericht und dem Bundesarbeitsministerium für Arbeit und Soziales gem. dessen Rundschrei...