Rz. 1
Die §§ 60 bis 67 ergänzen als Dritter Titel der Gemeinsamen Vorschriften für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs im Dritten Abschnitt des SGB I die Allgemeinen Grundsätze (§§ 30 bis 37) und die Grundsätze des Leistungsrechts (§§ 38 bis 59) um die Mitwirkung des Leistungsberechtigten. Es handelt sich um Pflichten im Verwaltungsverfahren (vgl. § 8 SGB X), das regelmäßig zu eröffnen ist, wenn eine Person eine Sozialleistung begehrt. Beteiligte an einem Verwaltungsverfahren sind jedenfalls der Antragsteller und der Antragsgegner (§ 12 Nr. 1 SGB X). Den Mitwirkungspflichten des Bürgers im Verwaltungsverfahren als Obliegenheitspflichten stehen Pflichten der Behörde gegenüber, die allerdings nicht im SGB I, sondern bei den Allgemeinen Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im SGB X geregelt werden. Das Vorschriftenbündel über die Mitwirkungspflichten verfolgt den Grundsatz, durch ein ausgewogenes Maß an Pflichten, aber auch Schutzrechten für den Bürger, Antragsteller und Leistungsbezieher zwanglos zur Mitwirkung anzuhalten und sie andernfalls insoweit zur Verantwortung zu ziehen, als dass das Verwaltungsverfahren nicht fortgesetzt wird. Die Obliegenheiten betreffen nicht dritte Personen. Hierfür bedarf es jeweils spezieller Regelungen in den einzelnen Sozialgesetzbüchern.
Rz. 2
Ist ein Verwaltungsverfahren eröffnet (vgl. § 18 SGB X), ermittelt die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen (Untersuchungsgrundsatz des § 20 Abs. 1 SGB X). Die Behörde bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen, sie ist an das Vorbringen der Beteiligten (insbesondere des Antragstellers) und auch an dessen Beweisanträge nicht gebunden. Dabei bedient sich die Behörde der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Sie kann insbesondere Auskünfte einholen, Beteiligte, Sachverständige und Zeugen anhören, Urkunden und Akten beiziehen sowie den Augenschein einnehmen (§ 21 Abs. 1 SGB X).
Rz. 3
§ 21 Abs. 2 SGB X enthält Ansatzpunkte für eine Unterstützung der Behörde bei ihren Ermittlungen. Die Beteiligten, hier also insbesondere der Antragsteller, sollen bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken. Sie sollen insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben. Eine weitergehende Pflicht, bei der Ermittlung des Sachverhaltes mitzuwirken, besteht insbesondere hinsichtlich einer Pflicht zur Aussage oder zum persönlichen Erscheinen nur, soweit die Pflicht durch Rechtsvorschrift besonders vorgesehen ist.
Rz. 4
Aus der Rechtslage nach dem SGB X ist leicht ersichtlich, dass die Behörde zwar der Amtsermittlungspflicht unterliegt, diesen gesetzlichen Auftrag aber nur schwerlich in einer einem Verfahren zur Bewilligung oder Ablehnung einer begehrten Sozialleistung angemessenen Zeit und zufriedenstellenden Qualität erfüllen kann, weil es ihr an Möglichkeiten mangelt, den Fortschritt des Verwaltungsverfahrens, der auf einen die Entscheidung der Behörde bekanntgebenden Verwaltungsakt gerichtet ist, auch durchzusetzen, ggf. durch den Einsatz von Sanktionen.
Rz. 5
Die §§ 60 bis 67 SGB I greifen diese Problematik hinsichtlich der die Sozialleistung begehrenden Antragsteller bzw. Leistungsbezieher auf. Indem diese zur Mitwirkung im Verwaltungsverfahren verpflichtet werden, wird der Behörde ermöglicht, ihrem Auftrag aus § 20 SGB X gerecht zu werden.
Rz. 6
Es entspricht dem sich aus den Art. 20, 28 GG ergebenden Sozialstaatsprinzip, dass nicht nur Sozialleistungen vorgesehen werden, die in Anspruch genommen werden können, sondern damit auch beim Berechtigten ein Sozialverhalten eingefordert wird, nach Kräften zur Umsetzung der sozialen Rechte auch im eigenen Leistungsfall beizutragen. Diese Mitwirkung wird nicht erzwungen. Dem Betroffenen steht es frei, nach Maßgabe seiner Obliegenheiten die Mitwirkungspflichten zu erfüllen oder nicht. Diese werden an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Zumutbarkeit für den Betroffenen ausgerichtet, eine Überforderung findet daher nicht statt. Grenzen der Mitwirkungspflicht ergeben sich jeweils aus der die Pflicht regelnden Vorschrift und aus § 65a. Im Ergebnis können Angaben bzw. die Vorlage von Beweismitteln nicht leistungsrelevant (weil für die Leistung nicht erheblich), unangemessen oder unzumutbar sein, der Leistungsträger sich die erforderlichen Kenntnisse mit geringerem Aufwand beschaffen oder ein Verweigerungsrecht bestehen. Kommt der Berechtigte ohne solche Gründe seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, verhält er sich als Versicherter in der Sozialversicherung versicherungswidrig, im Übrigen sozialwidrig, wenn die Grenzen der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit nicht überschritten sind. Dieses Verhalten wird nicht immer sanktioniert, jedoch wird darüber die Aufklärungspflicht des Leistungsträgers nicht erweitert. Das führt dazu, dass das Verwaltungsverfahren nicht fortgesetzt wird, eine beantragte Leistung kann versagt, eine bereits bezogene Leistung kann entzogen werden. Im Ergebnis wird die Leistung nicht gezahlt. Dies...