2.3.1 Einschränkung der Handlungsfähigkeit (Abs. 2 Satz 1)
Rz. 25
Die in § 36 Abs. 1 Satz 1 eingeräumte Handlungsfähigkeit schließt die Vertretungsbefugnis des gesetzlichen Vertreters und dessen dem Grunde nach vorrangige Vertretungsmacht nicht aus. Hieran knüpft Abs. 2 Satz 1 an, der dem gesetzlichen Vertreter die Befugnis einräumt, die Handlungsfähigkeit einzuschränken. Im Regelfall ist die Erklärung beider Elternteile als gemeinsam Vertretungsberechtigte zu fordern, um sich widersprechende Erklärungen auszuschließen.
Rz. 26
Die Erklärung, mit der die Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden soll, muss dieses eindeutig erkennen lassen,. Sie kann sich auf eine einzelne bestimmte Antragstellung oder auf bestimmte Teilbereiche oder Handlungen erstrecken. Ein genereller Entzug der Handlungsfähigkeit nach § 36 Abs. 1 wird für nicht zulässig gehalten (Waschull, in: Krauskopf, SozKV, SGB I, § 36 Rz. 16, Stand: März 2008; a. A. Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 36 Rz. 21).
Rz. 27
Da es sich bei der Einschränkung der Handlungsfähigkeit des minderjährigen Berechtigten durch die gesetzlichen Vertreter um eine Abweichung von der gesetzlichen Grundregel handelt, der zudem in der Folge eine grundlegende Bedeutung zukommt, bedarf diese Erklärung der Schriftform, die durch die elektronische Form ersetzt werden kann. Zugleich liegt damit ein Beweismittel vor, mit dem gegenüber einem minderjährigen Antragsteller nachgewiesen werden kann, dass seine Antragstellung unwirksam und er zur Entgegennahme von Sozialleistungen nicht berechtigt ist.
Rz. 27a
Die Einschränkung der Handlungsfähigkeit bedarf keiner Begründung und ist auch dann wirksam, wenn bei objektiver Betrachtung kein Grund dafür besteht. Will der Minderjährige diese Beschränkung seiner sozialrechtlichen Handlungsfähigkeit nicht hinnehmen, muss er eine entsprechende Entscheidung des Familiengerichts gegenüber dem gesetzlichen Vertreter herbeiführen.
Rz. 28
Die Einschränkung der Handlungsfähigkeit durch schriftliche Erklärung muss dem Sozialleistungsträger zugehen, damit sie wirksam wird (§ 130 BGB). Da je nach Leistungsart verschiedene Träger zuständig sein können, bindet die Erklärung auch nur den Träger, dem gegenüber sie erklärt worden ist. Als Abweichung von Abs. 1 kann die Erklärung auch nur Wirkung für die Zukunft entfalten, wenn sie nicht zugleich auch als Rücknahme des Antrags des Handlungsfähigen oder Verzicht auf die Sozialleistung anzusehen ist.
2.3.2 Zustimmungsbedürftige Handlungen (Abs. 2 Satz 2)
Rz. 29
Die Handlungsfähigkeit im Sozialrecht bezieht sich dem Grunde nach auf die Begünstigungen, der Erleichterung der Geltendmachung und die Erfüllung von Ansprüchen und wurde im Wesentlichen aus diesem Grund eingeräumt. Daraus ergibt sich für den Minderjährigen zwar ein (eigener) Anspruch auf Handlungen, die solche Begünstigungen zur Folge haben, es entsteht jedoch kein allgemeines Verfügungsrecht über soziale Rechte. Die Antragsrücknahme oder der Verzicht auf Sozialleistungsansprüche (§ 46) führt zu einem Verlust des Anspruchs, für den Handlungsfähigkeit nach Abs. 1 Satz 1 schon nicht besteht. Abs. 2 Satz 2 verlangt daher eher deklaratorisch die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters für die Antragsrücknahme, den Verzicht auf Sozialleistungen und die Entgegennahme von Darlehen durch den Minderjährigen.
Rz. 30
Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters gilt daher auch für die entsprechenden verfahrensrechtlich nachteiligen Erklärungen wie die Rücknahme eines Widerspruchs oder einer Klage.
Rz. 31
Mit der Entgegennahme eines Darlehens, womit wohl überhaupt nur solche im Rahmen der Sozialleistungsgewährung (z. B. in der Sozialhilfe, im Ausbildungsförderungsrecht oder der Grundsicherung nach dem SGB II) gemeint sein können, ist die Verpflichtung zur Rückzahlung verbunden. Da hier keine Begünstigung vorliegt, ist für die Entgegennahme die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erforderlich.
Rz. 32
Die Zustimmung kann vorher (als Genehmigung) oder nachträglich (als Zustimmung) erteilt werden. Sie kann gegenüber dem Minderjährigen oder dem Sozialleistungsträger erklärt werden. Sie ist dem Leistungsträger gegenüber jedoch nachzuweisen. Solange eine solche Genehmigung oder Zustimmung nicht vorliegt, sind die Erklärungen des minderjährigen Handlungsfähigen schwebend unwirksam. Um diese Ungewissheit zu beseitigen, kann der Leistungsträger den gesetzlichen Vertreter zur Zustimmung auffordern (§ 108 Abs. 2 BGB). Wenn dieser sich nicht äußert, ist über den Antrag zu entscheiden und ggf. die Leistung zu erbringen. Für die Auszahlung einer nur darlehensweise bewilligten und zu erbringenden Sozialleistung wird man dagegen wohl die Auffassung vertreten müssen, dass diese bei fehlender Zustimmung nicht auszuzahlen ist.