2.1 Anwendungsbereich
Rz. 5
Die Regelung findet nur Anwendung, wenn auf eine konkrete Sozialleistung (§ 11) kein unmittelbarer Rechtsanspruch besteht, sondern die Behörde eine bestimmte Leistung (nur) gewähren kann. Sie setzt daher ein dem Sozialleistungsträger eingeräumtes Ermessen zur Gewährung und Erbringung einer Sozialleistung nach § 11 als Sach-, Dienst oder Geldleistung voraus. Eine Ermessensleistung liegt dann vor, wenn eine Sozialleistung als "Kann- oder Soll-Leistung" (so BT-Drs. 7/868 S. 29) vorgesehen ist (z. B. § 9 SGB VI; vgl. dazu Komm. zu § 38). Eine Sozialleistung liegt auch dann vor, wenn im Rahmen eines Sozialleistungsverhältnisses nur eine von mehreren möglichen Leistungen als Ermessensleistung ausgestaltet ist. Eine Sozialleistung kann jedoch auch dahingehend relativiert sein, dass unter bestimmten Umständen diese oder Teile davon versagt werden können (z. B. Krankenversicherungsleistungen nach § 52 Abs. 1 SGB V, Unfallversicherungsleistungen gemäß § 101 SGB VII). Auch hierauf ist § 39 Abs. 1 anwendbar (vgl. BSG, Urteil v. 18.3.2008, B 2 U 1/07 R).
Rz. 6
Von der Ermessensleistung ist das Handlungsermessen (wie es z. B. § 45 SGB X zugrunde liegt) abzugrenzen, das in Rechtsvorschriften ebenfalls durch das "Kann" gekennzeichnet ist. Während die Ermessensleistung dadurch bestimmt ist, dass eine bestimmte konkrete Sach-, Dienst- oder Geldleistung erbracht werden kann, eröffnet das Handlungsermessen nur ein mögliches Tätigwerden der Behörde oder aber ein Ermächtigungs-Kann auch gegenüber Dritten auch i. S. einer Eingriffsermächtigung.
Rz. 7
Die Vorschrift lässt offen, in welcher Form die Ermessensentscheidung zu treffen ist. Dies ist daher auch durch die tatsächliche Erfüllung (Leistungserbringung) einer beantragten Ermessensleistung möglich. Der tatsächlichen Erfüllung kann jedoch auch ein bewilligender Verwaltungsakt vorausgehen, was der Regelfall sein dürfte und immer dann angezeigt ist, wenn daran Bedingungen (Nebenbestimmungen, vgl. Komm. zu § 32 SGB X) geknüpft sind oder die Dauer oder der Umfang der Leistung zu konkretisieren ist. Über das Entstehen einer Ermessensleistung als im Sinne eines durchsetzbaren Rechtsanspruchs knüpft § 40 Abs. 2 an, wonach diese Ansprüche erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung über diesen Anspruch entstehen. Wird eine beantragte Ermessensleistung abgelehnt, ist wohl immer ein zu begründender Verwaltungsakt (§ 35 SGB X) zu erlassen, der dann der Überprüfung im Widerspruchs- und Klageverfahren unterliegt. Im Klageverfahren führt der Ermessensfehlgebrauch zur Rechtswidrigkeit des (im Regelfall) Verwaltungsaktes und dessen Aufhebung (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).
2.2 Ermessen (Abs. 1 Satz 1)
2.2.1 Gesetzliche Grenzen der Ermessensbetätigung
Rz. 8
Auch für Ermessensleistungen über Sozialleistungen i. S. d. § 11 und darüber zu treffende Entscheidungen müssen auf jeden Fall die dafür erforderlichen gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein, damit überhaupt eine Ermessensentscheidung über eine Sozialleistung ergehen kann; denn auch die Gewährung von Ermessensleistungen unterliegt dem Gesetzesvorbehalt des § 31, auch wenn die Gewährung nach dem Opportunitätsprinzip erfolgen kann (vgl. BSG, Urteil v. 14.12.1994, 4 RA 42/94).
Rz. 9
Das der Verwaltung eingeräumte Ermessen ist jedoch kein freies Ermessen. Es wird einerseits auf die zweckgemäße und andererseits auf die die gesetzlichen Grenzen einhaltende Ausübung des Ermessens begrenzt. Der Einräumung von Ermessen liegt zumeist auch die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Zweckmäßigkeitsentscheidung zugrunde, weil sich die Leistung von den Voraussetzungen her tatbestandlich nicht so definieren lässt, dass daran konkrete Rechtsfolgen i. S. eines Rechtsanspruchs geknüpft werden können (so z. B. bei notwendigen oder erforderlichen Maßnahmen). Daher kann ein Ermessen auch in der Form gegeben sein, dass der Sozialleistungsträger unter verschiedenen Arten der möglichen Sozialleistungsgewährung eine auswählt (Auswahlermessen).
Rz. 10
Dabei kann der Rahmen der Ermessensausübung unterschiedlich ausgestaltet sein. Während bei "Kann-Vorschriften" die Ermessensentscheidung für jeden Normalfall zu treffen ist, ist bei "Soll-Vorschriften" die Entscheidung vorgegeben. Sie eröffnet jedoch in atypischen Fällen eine vom Regelfall abweichende Entscheidung nach Ermessen. Die Frage des Vorliegens eines atypischen Falles gehört jedoch nicht zu den Ermessensgründen, sondern zu den Tatbestandsvoraussetzungen für eine Entscheidung nach Ermessen und ist insoweit gerichtlich voll überprüfbar. Die fehlerhafte Annahme eines atypischen Falles durch die Behörde kann zu einer fehlerhaften Entscheidung wegen der Ermessensausübung führen. Die fehlerhafte Annahme eines typischen Falls führt dagegen zu einem Ermessensfehler wegen und bei Nichtausübung von Ermessen.
Rz. 11
Die Verwaltung kann sich für Ermessensleistungen durch selbst erstellte Richtlinien in ihrer Ermessensbetätigung binden (Selbstbindung der Verwaltung, ermessenslenkende Weisungen). Solche Richtlinien erlangen, obwohl sie nicht unmittelbar zugunsten des Betroffenen wirken, über die Gr...