Rz. 13
Da auf die (im Regelfall begehrte und/oder beantragte) Leistung selbst kein Rechtsanspruch besteht, kann aus der Leistungsablehnung für sich nicht geschlossen werden, dass ein Ermessensfehler vorlag. Nur anhand des vorangegangenen Entscheidungsprozesses und der erforderlichen Begründung der ablehnenden Entscheidung gemäß § 35 SGB X kann ermittelt werden, ob und wie das Ermessen ausgeübt wurde. Damit ist die Überprüfung der ordnungsgemäßen Ermessensausübung letztlich auf Fälle erkennbarer Fehler bei der Ermessensausübung beschränkt.
Rz. 14
Die Ausübung des Ermessens muss sich an der Zwecksetzung der Ermächtigung orientieren. Der Zweck eines eingeräumten Ermessens kann sich nur aus der Ermessensvorschrift oder dem Gesetzeszusammenhang erschließen. Das stößt jedoch bei einem Nebeneinander von gleichen Pflicht- und Ermessensleistungen oder bei überhaupt nur als Ermessensleistung möglichen Leistungen auf Schwierigkeiten. Zumeist ist weder das Nebeneinander noch der Grund für die nur nach Ermessen zu treffende Entscheidung dem Gesetz zu entnehmen. Der Grund für eine nur als Ermessensentscheidung mögliche Sozialleistung kann z. B. auch die (unausgesprochen gewollte) Berücksichtigung der Haushaltslage des Sozialleistungsträgers sein (vgl. Just, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 39 Rz. 13, Stand: August 2006). Insoweit sind die Verwirklichung der sozialen Rechte (§ 2 Abs. 2) und das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) als Grundsatz zwar heranziehbar, jedoch sprechen die Ermessenseinräumung und der Vorbehalt des Gesetzes in diesen Fällen gerade gegen eine Leistungsbewilligung als Normalfall.
Rz. 15
Weniger Probleme bereitet in Ermessensfällen der zumeist auch im Tatbestand zum Ausdruck kommende Zweck der Leistungsgewährung "in vergleichbaren Fällen". Damit wird i. S. v. Einzelfallgerechtigkeit der begrenzte normierte Tatbestand einer Vorschrift auf Sachverhalte ausgeweitet, die der Gesetzgeber nicht vorhersehen konnte oder die einer Typisierung nicht zugänglich sind.
Rz. 16
Aus der Zwecksetzung der Ermessenseinräumung ergibt sich daher zunächst lediglich, dass Ermessen nicht rechtsfrei und beliebig (willkürlich) auszuüben ist, sondern immer gebundenes pflichtgemäßes Ermessen ist. Was die Zwecksetzung der Ermessensermächtigung ist oder sein soll, wird daher vornehmlich durch die Rechtsprechung bestimmt und konkretisiert.
Rz. 17
Die typischen Fälle der fehlerhaften Ermessensausübung sind:
- Nichtausübung von Ermessen (Mangel der Ermessensausübung), weil nicht erkannt wurde, dass eine Ermessensentscheidung möglich oder notwendig war,
- Ermessensüberschreitung, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nicht vorlagen oder die Rechtsfolge nicht als Ermessensentscheidung möglich war,
- Ermessensfehlgebrauch (Ermessensmissbrauch), weil der Ermessensentscheidung sachfremde Erwägungen zugrunde lagen oder die Entscheidung der Selbstbindung durch Richtlinien nicht entsprach. Auch die Ablehnung der Leistung oder einer Entscheidung über einen Antrag wegen fehlender allgemeiner Richtlinien oder solcher für den speziellen Fall gehört zum Ermessensfehlgebrauch bei einer ablehnenden Entscheidung oder Nichtentscheidung. Insoweit besteht die Pflicht zur Ausübung von Ermessen (Ausübungszwang). Zu einem Fehlgebrauch von Ermessen führt auch ein falscher oder nur unvollständig aufgeklärter oder berücksichtigter Sachverhalt, weil eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung nur unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände möglich ist.
Rz. 18
Der Begründung der Entscheidung im Verwaltungsakt kommt daher ganz entscheidende Bedeutung zu. Lässt diese nicht erkennen, dass die Behörde für eine in das Ermessen gestellte Leistung von einer notwendigen oder möglichen Ermessensausübung ausgegangen ist und welche Gesichtspunkte für die ablehnende Entscheidung als maßgeblich zugrunde gelegt wurden, ergibt sich daraus ein Ermessensfehler (vgl. dazu und zur Frage der Nachholung des Ermessens die Komm. zu §§ 35 und 41 SGB X).