Rz. 8
Das Entstehen der gesetzlichen Ansprüche kraft Gesetzes bedeutet, dass es für das Entstehen der Einzelansprüche nicht auf deren Anerkennung oder Bewilligung durch den Sozialleistungsträger ankommt. Selbst die Kenntnis vom Vorliegen der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung ist weder für den Sozialleistungsberechtigten noch für den Sozialleistungsträger für das Entstehen des Anspruchs von Bedeutung. Die Regelung lässt die sich aus der Sachverhaltsermittlung und -feststellung ergebenden tatsächlichen Probleme bei der Feststellung des Anspruchs auch in verwaltungsverfahrensrechtlicher Hinsicht außen vor (so Spellbrink, in: KassKomm. SGB I, § 40 Rz. 2, Stand: Dezember 2018), wobei dies jedoch auf die fehlende Harmonisierung der Regelungen des SGB X mit denen des SGB I zurückzuführen ist.
Rz. 9
Der zuständige Leistungsträger hat vielmehr die aus dem gesetzlichen Tatbestand folgende Verpflichtung zur Erfüllung von Sozialleistungen, aus der für den Betroffenen das subjektive Recht folgt, die Sozialleistung sofort fordern zu können, weil diese damit auch fällig ist (vgl. § 41 und Komm. dort). Für die Entstehung des Anspruchs wird kein zubilligender Verwaltungsakt vorausgesetzt (so auch Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 40 Rz. 1; Merten/Dahm, in: Eichenhofer/v. Koppenfels-Spies/Wenner, SGB I, 2. Aufl., § 40 Rz. 4). Daher kann unter Entstehen des Anspruchs auch nicht (nur) die Berechtigung zur erfolgreichen Geltendmachung des Anspruchs verstanden werden (so Kretschmer, in: GK-SGB I, 3. Aufl., § 40 Rz. 6; wohl auch Rüfner, in: Wannagat, SGB I, § 40 Rz. 3). Vielmehr schließt das Entstehen eines gesetzlichen Anspruchs und die damit bestehende Klagbarkeit auch die Geltendmachung gegenüber dem Sozialleistungsträger als Schuldner ein (so Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 40 Rz. 5). Ob der Schuldner den Anspruch durch Bewilligung anerkennt, ist daher nicht entscheidend.
Rz. 10
Richtigerweise kann daher auch, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften ein schriftlicher Verwaltungsakt zu ergehen hat, unmittelbar Leistungsklage erhoben werden (§ 54 Abs. 5 SGG). In der gerichtlichen Praxis wird jedoch, unabhängig von der Frage, ob die Vorschriften der besonderen Bücher die Erteilung eines schriftlichen Bescheides vorschreiben (z. B. § 117 SGB VI, § 102 SGB VII; § 50 Abs. 1 Satz 1 BAföG), für die Klagemöglichkeit immer eine vorherige Entscheidung des Leistungsträgers verlangt. Die isolierte oder echte Leistungsklage des Bürgers gegen den öffentlich-rechtlichen Leistungsträger soll danach eher die Ausnahme bilden (so z. B. BSG, Urteil v. 21.3.2006, B 2 U 24/04 R; vgl. auch Komm. zu § 54 SGG). Damit wird für den gerichtlichen Rechtsschutz allerdings etwas vorausgesetzt, was §§ 38, 40 und 41 gerade ausschließen wollen, nämlich die Abhängigkeit des Forderungsrechts von seiner vorherigen Geltendmachung beim Leistungsträger und dessen Anerkenntnis (so auch Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 40 Rz. 6). Auch § 54 Abs. 4 SGG sieht für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage, neben der formalen Aufhebung eines belastenden, i. d. R. den die Leistung ablehnenden Verwaltungsakts, die unmittelbare Verurteilung zur Leistung vor, wenn auf die Leistung ein Rechtsanspruch besteht und ein Verwaltungsakt darüber nicht zu ergehen hatte, also gerade nicht nur eine Verurteilung zur Bescheidung, wie dies zumeist praktiziert wird, indem der Anspruch nur dem Grunde nach beantragt wird und beantragt werden muss (vgl. Komm. zu § 54 SGG).