2.1 Anwendungsbereich
Rz. 6
Die Vorschrift gilt unmittelbar für alle Ansprüche auf Sozialleistungen des Berechtigten gegen den Sozialleistungsträger (§ 40). Dabei wird eine Unterscheidung zur Art der Leistungsgewährung nicht vorgenommen. Daher ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Ansprüche auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichtet sind (§ 11) oder es sich um einmalige, wiederkehrende oder laufende Leistungen handelt. Bei Dienst- oder Sachleistungen ist die Verjährung faktisch jedoch zumeist ohne Bedeutung, da eine Leistungserbringung für zurückliegende Zeiten im Regelfall praktisch ausgeschlossen ist und Verjährung allenfalls im Zusammenhang mit der Kostenerstattung bei Selbstbeschaffung dieser Leistungen (z. B. nach § 13 Abs. 3 SGB V oder § 15 SGB IX) Bedeutung erlangen könnte.
Rz. 7
Der Verjährung unterliegen unabhängig von der Kenntnis des Anspruchs die kraft Gesetzes entstandenen und zu erfüllenden Sozialleistungsansprüche, die mit ihrem gesetzlichen Entstehen zugleich auch der Verjährung unterliegen (vgl. Komm. zu § 40 und BSG, Urteil v. 9.6.1961, GS 2/59). Für Ansprüche auf Ermessensleistungen (§ 39) gilt die Vorschrift zwar ebenfalls, hat aber wegen der Bestimmung in § 40 Abs. 2 praktische Bedeutung nur im Rahmen von Abs. 3.
Rz. 8
Die Verjährungsfolge haftet dem gesetzlich entstehenden Anspruch an und läuft daher auch gegenüber Rechtsnachfolgern des Berechtigten, insbesondere gegen Leistungsträger, auf die die Ansprüche übergegangen oder an die die Ansprüche abgetreten sind, sowie für Sonderrechtsnachfolger (§ 56) und Erben (§ 58). Anders als nach der Neufassung des § 199 BGB ist positive Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von dem Anspruch für den Beginn der Verjährung nicht maßgebend.
Rz. 9
Der Verjährung unterliegt nur der einzelne Erfüllungsanspruch (der Einzelleistungsanspruch), nicht jedoch der Anspruch auf das zugrunde liegende sog. Stammrecht. (vgl. bereits BSG, Großer Senat Beschluss v. 21.12.1971, GS 4/71, BSG, Urteil v. 22.10.1996, 13 RJ 17/96; ebenso Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 45 Rz. 6, Stand: Juli 2017). Bei Ansprüchen auf wiederkehrende Dauerleistungen können daher nur die Einzelansprüche verjähren. Die bescheidmäßige Feststellung von Leistungsansprüchen hindert daher die Verjährung der daraus entstehenden wiederkehrenden Erfüllungsansprüche nicht.
2.2 Wirkung der Verjährung
Rz. 10
Die Verjährung beseitigt nicht den Anspruch als solchen, sondern gibt dem Verpflichteten lediglich das Recht, unter Berufung auf die eingetretene Verjährung (Einrede) die Leistung (Erfüllung) dauerhaft zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB). Leistet der Verpflichtete trotz der an sich eingetretenen Verjährung, kann er keine Rückerstattung verlangen (§ 214 Abs. 2 BGB). Im Prozess ist die Verjährung grundsätzlich nur auf die Einrede des Verpflichteten hin zu beachten. Die Erhebung der Einrede der Verjährung ist kein Verwaltungsakt, sondern schlichtes Verwaltungshandeln in Form der Ausübung allgemeiner Gestaltungsrechte (so auch E. Jung in: Wannagat, SGB I, § 45 Rz. 11; Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 45 Rz. 4). Daher kann die Erhebung der Einrede der Verjährung auch nicht eigenständig angefochten werden. Der Sozialleistungsberechtigte hat vielmehr eine echte Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zu erheben, wenn der Sozialleistungsträger sich auf die Verjährung der Leistungsansprüche beruft.
Rz. 11
Die Erhebung der Einrede steht nach der Rechtsprechung im pflichtgemäßen Ermessen (§ 39) des zur Leistung verpflichteten Leistungsträgers (BSG, Urteil v. 23.10.1975, 11 RA 152/74; vgl. auch Spiolek, BB 1998 S. 533). Insbesondere ist die Berufung auf die Verjährung als Ermessensentscheidung zu begründen (vgl. BSG, Urteil v. 22.10.1996, 13 RJ 17/96). Die Berufung auf die Verjährung ist dabei nicht schon für sich ermessensfehlerhaft, selbst wenn sich durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine andere Rechtslage ergibt. Der Leistungsträger darf dabei jedoch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen, sonst ist die Einrede der Verjährung unbeachtlich und ermessensfehlerhaft ausgeübt. Dies wird insbesondere in den Fällen zu gelten haben, in denen der Leistungsträger den Betroffenen an der Durchsetzung seiner Ansprüche gehindert hat; z. B. durch falsche und fehlerhafte Information oder Beratung (zur Bedeutung einer Betriebsprüfung ohne Beanstandung der Beitragszahlung vgl. Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil v. 28.1.2011, L 3 AL 6/10). Allerdings ist der Sozialleistungsträger im Rahmen seines Ermessens regelmäßig – d. h. wenn keine besonderen Umstände vorliegen – gehalten, die Verjährungseinrede zu erheben. Dies entspricht dem Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit bei der Mittelverwendung (§ 76 SGB IV).
Rz. 12
Die Verjährung setzt das Bestehen eines zu erfüllenden Leistungsanspruchs notwendig voraus. Der Eintritt der Fälligkeit (§ 41) des Erfüllungsanspruchs ist, anders als nach § 201 BGB, nicht ausdrücklich erforderlich (a. A. Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 45 Rz. 11). Das Entstehen des Anspruchs bedeutet, dass damit auch das Forderungs...