0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist am 1.1.1976 mit dem SGB I v. 11.12.1975 (BGBl. I S. 3015) zum 1.1.1976 in Kraft getreten und seither nicht geändert worden.
1 Allgemeines
Rz. 1a
Mit der Regelung über die Zulässigkeit eines Verzichts wird anerkannt, dass der Berechtigte selbst über seine Sozialleistungsansprüche frei verfügen kann. Das Recht auf ausdrücklichen Verzicht auf Ansprüche auf Sozialleistungen ist letztlich der Ausdruck der Verfügungsbefugnis und Dispositionsfreiheit des Berechtigten über seine Ansprüche (so Mrozynski, SGB I, 5. Aufl., § 46 Rz. 2). Schon die Einweisungsvorschriften (§§ 18 ff.) weisen jeweils darauf hin, dass die dort genannten Leistungen in Anspruch genommen werden können (worauf Groth, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, § 46 Rz. 4, Stand: 15.3.2018 zu Recht hinweist), allerdings kann daraus nicht gefolgert werden, dass darin bereits das Recht auf (materiell-rechtlichen) Verzicht angelegt ist. Wenn, dann sprechen diese Formulierungen eher für einen verfahrungsrechtlichen Charakter, indem die Leistungen nicht durch Antrag oder in sonstiger Form geltend gemacht werden. Der Berechtigte ist nicht Objekt von Verwaltungshandeln. Auch wenn Vorschriften ohne Antragstellung die Leistungsgewährung an den Betroffenen als zwingend erscheinen lassen (z. B. in § 18 SGB XII "setzt ein, sobald…"), bedeutet dies nicht, dass die Sozialleistungen auch gegen den Willen des Berechtigten zu erbringen sind.
Rz. 2
Dieses Recht auf Verzicht wird lediglich dadurch begrenzt, dass der Verzicht nicht zulasten Dritter gehen oder der Gesetzesumgehung dienen darf. Zum Schutz des Berechtigten und zur Verwirklichung sozialer Rechte wird für den Verzicht die Schriftlichkeit (Warnfunktion) und die jederzeitige Widerrufbarkeit vorgeschrieben.
Rz. 2a
In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 7/868 S. 30) ist zu der Vorschrift ausgeführt, dass sie den einseitigen Verzicht betrifft, der grundsätzlich als zulässig angesehen werde. Um den Einzelnen vor den Folgen übereilten Handelns zu schützen, könne der Verzicht jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden; aus dem gleichen Grund sowie zur Beweiserleichterung bedürfe der Verzicht der Schriftform. Abs. 2 wolle insbesondere verhindern, dass durch einen Verzicht auf Sozialleistungen Unterhaltsverpflichtete und Leistungsträger stärker als gesetzlich vorgesehen belastet werden. Voraussetzung für die Unwirksamkeit des Verzichts sei, dass er unmittelbar Leistungsverpflichtungen zur Folge habe. Es genügt z. B. nicht, dass er lediglich die Rechtsverfolgung Dritter beeinträchtige.
2 Rechtspraxis
2.1 Verzicht (Abs. 1)
2.1.1 Anwendungsbereich
Rz. 3
Die Vorschrift bezieht sich allein auf den Verzicht von Sozialleistungen i. S. v. § 11 (so auch Bigge, in: Eichenhofer/Wenner, SGB I, IV, X, SGB I, § 46 Rz. 5; Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 46 Rz. 4, Stand: März 2005; Lilge, SGB I, 4. Aufl., § 46 Rz. 13). Der Verzicht i. S. der Regelung kann sich dem Grunde nach nur auf einen bereits kraft Gesetzes entstandenen und dem Leistungsberechtigten noch zustehenden bestimmten Einzelanspruch als Erfüllungsanspruch (i. S. eines Forderungsrechts gemäß § 194 Abs. 1 BGB) gegenüber dem Sozialleistungsträger beziehen (vgl. Komm. zu § 38), weil erst bei einem zumindest dem Grunde nach entstandenen Leistungsanspruch ein Verzicht möglich ist. Typischerweise wird über den konkreten Leistungsanspruch durch Verwaltungsakt entschieden; für den Verzicht ist dieser jedoch nicht Voraussetzung. Der Verzicht ist bei allen Geld-, Sach- und Dienstleistungen, die zu den Sozialleistungen des § 11 gehören, möglich. Praktische Relevanz hat der ausdrückliche Verzicht allerdings weitgehend nur in Fällen von Geldleistungsansprüchen. Bei Sach- und Dienstleistungen führt das Nichtabrufen oder die Nichtinanspruchnahme dazu, dass diese Leistungen für die Vergangenheit dann nicht mehr erbracht werden können. Denkbar wäre allerdings auch ein ausdrücklicher Verzicht nach der förmlichen Bewilligung des Anspruchs.
Rz. 4
Alle anderen rechtlichen Möglichkeiten, die Voraussetzungen für das Entstehen von Sozialleistungsansprüchen zu verhindern oder zu vermeiden, bleiben von der Vorschrift unberührt. Insbesondere bleibt das Unterlassen eines materiell-rechtlich notwendigen oder verfahrensauslösenden Antrags, die zulässige Beschränkung eines Antrags und die Nichteinlegung von Rechtsbehelfen gegen Ablehnungsbescheide trotz und neben § 46 möglich. Dies kommt zwar, weil Leistungsansprüche dann gar nicht erst entstehen, im Ergebnis einem Verzicht gleich, stellt jedoch keinen Verzicht i. S. d. § 46 dar und ist deshalb nicht daran und an dessen Abs. 2 zu messen (so auch Rolfs, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 46 Rz. 13, Stand: Juli 2014; Seewald, in: KassKomm. SGB I, § 46 Rz. 9, Stand: März 2005). Ebenso kann der Berechtigte die Verjährungsfrist für die Geltendmachung der Ansprüche verstreichen lassen. Der Verzicht hat aber neben diesen anderen Möglichkeiten eine eigenständige rechtliche Bedeutung in dem Fall, in dem der Anspruch auf eine Sozialleistung entstanden und betragsmäßig festgestellt ist, der Berechtigte diesen jedoch nicht...