0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 62 ist am 1.1.1976 zusammen mit dem Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches, dem Ersten Buch Sozialgesetzbuch v. 11.12.1975 (BGBl. I S. 3450), in Kraft getreten.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Vorschrift regelt die Mitwirkungsobliegenheiten des Antragstellers bzw. Leistungsbeziehers an Untersuchungsmaßnahmen. Sie ist damit den Vorschriften zur Regelung der Mitwirkungspflichten im engeren Sinne zuzurechnen. Sie ergänzt die §§ 60, 61. Die Vorschrift betrifft aber nicht Erstattungspflichtige. Sie ist von besonderer Bedeutung, soweit Sozialleistungen davon abhängen, dass bestimmte Krankheiten oder Funktionsstörungen nicht gegeben sind oder solche gerade voraussetzen. Das ist in zahlreichen Leistungsverfahren der Fall. Verlässliche Ergebnisse können dann nur durch fachkundige Ärzte und Psychologen in Untersuchungen erzielt werden. Die Vorschrift kann auch angewandt werden, soweit spezialgesetzliche Regelungen nicht gelten. Die Obliegenheit, Untersuchungen zu dulden, dient dazu, das Leistungsvermögen des Bürgers durch Begutachtung festzustellen. Der Antragsteller bzw. Leistungsbezieher hat sich im Regelfall ärztlichen oder psychologischen Untersuchungsmaßnahmen zu unterziehen, wenn und soweit diese Untersuchungen für die Entscheidung über die begehrte Leistung erforderlich sind. Eine Untersuchung kann und soll nicht erzwungen werden. Die Nichterweislichkeit des Gesundheitszustandes geht jedoch nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zulasten des Betroffenen, der hieraus Rechte ableiten will. Im atypischen Fall braucht der Betroffene einem entsprechenden Verlangen des Leistungsträgers nicht nachzukommen, in diesen Fällen sind die Grenzen der Mitwirkungspflicht überschritten (vgl. § 65). Weitere Regelungen in den Spezialgesetzen des Sozialgesetzbuches sind entbehrlich. Gleichwohl ist die Pflicht zum Erscheinen zu einer Untersuchung in § 59 SGB II und § 309 SGB III gesondert geregelt. Eine weitere spezielle Regelung enthält § 18 Abs. 2 SGB XI.

 

Rz. 2a

Das Ausstellen einer ärztlichen Bescheinigung durch den behandelnden Arzt des Antragstellers als Nachweis für den Mehrbedarf einer kostenaufwendigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II stellt keine Untersuchungsmaßnahme nach § 62 SGB I dar. Die durch die Einholung der ärztlichen Bescheinigung entstandenen Kosten sind im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Antragstellers nach § 60 nicht von dem Leistungsträger zu erstatten, soweit die Kosten nicht entgegen § 65 Abs. 1 in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommen Sozialleistung stehen. Die Einholung der ärztlichen Bescheinigung als Nachweis eines Mehrbedarfs einer kostenaufwendigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II ist ein eigenes Geschäft des Antragsstellers nach §§ 677, 683 BGB im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 SGB I (SG Magdeburg, Urteil v. 2.9.2021, S 7 AS 940/17).

2 Rechtspraxis

2.1 Personenkreis

 

Rz. 3

Die Obliegenheit des § 62 trifft Antragsteller und Empfänger von Sozialleistungen. Ärztliche oder psychologische Untersuchungen können demnach erforderlich sein, um die Voraussetzungen für die Bewilligung oder bei Leistungsgewährung in Bewilligungsabschnitten die Bewilligung für einen neuen Bewilligungszeitraum einer begehrten Sozialleistung festzustellen als auch bei laufendem Bezug die Voraussetzungen für die weitere Leistungsgewährung zu überprüfen. Dritte Personen können ohne Antragstellung oder Leistungsbezug von § 62 erfasst werden, wenn ihnen auch ohne eigenen Anspruch Leistungen gezahlt werden sollen, dies jedoch eine Untersuchung voraussetzt.

 

Rz. 4

Es handelt sich um eine persönliche Duldungspflicht. Das bedeutet, dass nur der die Sozialleistung Begehrende oder Beziehende selbst die erforderlichen Untersuchungen an sich vornehmen lassen muss, er kann dazu keinen Vertreter entsenden. In Bezug auf Handlungsfähige i. S. d. § 36 betrifft dies auch Minderjährige.

 

Rz. 4a

Für den betroffenen Personenkreis besteht stets das Risiko einer Mehrfachuntersuchung aus demselben Anlass, z. B. bei Verdacht auf volle Erwerbsminderung durch die Agentur für Arbeit und den zuständigen Rentenversicherungsträger. Da die jeweiligen Leistungsträger sich auf eigenständige oder dieselbe Rechtsgrundlage berufen können, muss der Betroffene dies innerhalb des von § 65 gesetzten Rahmens grundsätzlich dulden. Teilweise haben Sozialleistungsträger Vereinbarungen darüber geschlossen, Doppeluntersuchungen zu vermeiden und wechselseitig bereits vorliegende Untersuchungsergebnisse des anderen Trägers anzuerkennen.

 

Rz. 4b

Die Mitwirkungspflicht gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren. Das Gericht erforscht den Sachverhalt zwar von Amts wegen. Der Betroffene, z. B. ein Versicherter, muss aber seiner Mitwirkungspflicht genügen (vgl. § 103 SGG). Verweigert er eine Begutachtung, hat er die prozessrechtlichen Folgen seines Verhaltens zu tragen. Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung fehlt z. B. dann, wenn dem Antragsteller durch zumutbare Mitwirkungshandlungen, zu denen nach Maßgabe der §§ 62, 65 auch die Bereitschaft g...

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