0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

§ 63 ist am 1.1.1976 zusammen mit dem Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches, dem Ersten Buch Sozialgesetzbuch v. 11.12.1975 (BGBl. I S. 3450), in Kraft getreten.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Vorschrift regelt die Obliegenheit zur Teilnahme an einer Heilbehandlung, der Leistungsträger kann sein Verlangen nicht im Wege der Vollstreckung durchsetzen. Mitwirkungspflichtig sind Personen, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung Sozialleistungen begehren oder beziehen. Mit dieser Heilbehandlung soll eine Besserung des Gesundheitszustandes erreicht oder eine Verschlechterung verhindert werden. Dazu kann und soll der Leistungsberechtigte nicht gezwungen werden. Er muss allerdings ggf. nach Maßgabe des § 66 hinnehmen, dass die beantragten oder bezogenen Leistungen versagt oder entzogen werden. In diesem Sinne verfolgt die Vorschrift das Ziel, die Mitwirkungspflichten ausdrücklich und mit der gebotenen rechtsstaatlichen Klarheit zu beschreiben. Die drohenden Rechtsfolgen sollen den Mitwirkungspflichtigen dazu anhalten, eine Heilbehandlung i. S. der Vorschrift zu dulden und zu unterstützen. Für den Leistungsträger hat die Vorschrift einen wirtschaftlichen Hintergrund, der allerdings für die Mitwirkungspflicht selbst von untergeordneter Bedeutung ist. Eine Besserung des Gesundheitszustandes kann nämlich eine Verminderung oder Beendigung einer Leistung zur Folge haben, die Vermeidung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes höhere oder länger andauernde Leistungsansprüche verhindern.

In diesem Sinne geht es bei § 63 nicht nur um formale Mitwirkungspflichten, sondern um eine Duldung von Maßnahmen, die auf eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen (vgl. § 48 SGB X) abzielen. Der Begriff Heilbehandlung täuscht darüber hinweg, dass auch § 63 vorrangig Rehabilitation meint, auf die besser in den Spezialgesetzen Bezug genommen worden wäre. Neben § 63 bedarf es grundsätzlich keiner Spezialregelungen mehr. Vergleichbare Vorschriften mit Programmcharakter finden sich in § 1 SGB V, § 8 SGB IX und § 6 SGB XI.

Wird eine Behandlung nicht durchgeführt, bedeutet dies nicht, dass eine eine Sozialleistung begründende Krankheit nicht vorliegt, deshalb muss der Leistungsträger nach § 66 vorgehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 1.7.2020, L 5 R 1265/18). Ebenso führt eine betroffene Person nicht absichtlich einen Versicherungsfall z. B. wegen verminderter Erwerbsfähigkeit herbei, wenn sie eine Behandlung verweigert (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 26.5.2020, L 9 R 1667/18).

2 Rechtspraxis

2.1 Personenkreis

 

Rz. 3

§ 63 erfasst Antragsteller und Bezieher von Sozialleistungen. Einschränkend sind aber nur die Personen betroffen, die wegen Krankheit oder Behinderung leistungsberechtigt sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass jegliche Leistung, die an einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand ("Krankheit") anknüpft oder die aufgrund einer beeinträchtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft geleistet wird, weil die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit voraussichtlich länger als sechs Monate bei beeinträchtigter Teilhabe am Leben in der Gesellschaft von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht ("Behinderung"), die Mitwirkungspflichten nach § 63 auslöst. Relevant ist vielmehr der in dem jeweiligen Spezialgesetz definierte Begriff; weshalb Krankheit z. B. nicht immer Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit voraussetzt. Betroffen sind jedenfalls auch Leistungen der Unfall- und Pflegeversicherung sowie Leistungen nach dem SGB IX. Im Übrigen genügt es für die Mitwirkungspflichten nach § 63, wenn Krankheit oder Behinderung zwar noch nicht eingetreten sind, aber drohen.

 

Rz. 4

§ 63 erfasst Antragsteller bzw. Bezieher von

  • Krankengeld nach dem SGB V,
  • Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem SGB VI,
  • Verletztengeld, Unfallrente nach dem SGB VII,
  • Nachteilsausgleich,
  • Geld- oder Sachleistungen aus der Pflegeversicherung nach dem SGB XI,
  • Entschädigungsleistungen nach dem SGB XIV.

Mitwirkungspflichtig sind auch Personen die eine Feststellung eines bestimmten Grades der Behinderung nach dem SGB IX wünschen.

 

Rz. 5

Der Obliegenheit nach § 63 kann nur der Leistungsberechtigte in Person selbst nachkommen, da sein Gesundheitszustand betroffen ist. Das gilt auch für Minderjährige.

2.2 Obliegenheit

 

Rz. 6

Die Vorschrift steht in einem inneren Zusammenhang mit § 64 (Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben). Sie hat hauptsächlich Präventionscharakter, bietet für den Leistungsträger aber auch ökonomisches Potenzial. Die Regelung kann nicht als Ergänzung oder Präzisierung der §§ 60 bis 62 angesehen werden, weil es ihr am Element des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 20 SGB X fehlt.

 

Rz. 7

Neben § 63 existieren weitere Regelungen im SGB, z. T. mit konkreten Mitwirkungspflichten (vgl. die Nahtlosigkeitsregelung in § 145 SGB III, die Gefährdung der Erwerbsfähigkeit nach § 51 SGB V, die nach dem Grundsatz Rehabilitation vor Rente einen Antrag auf Rehabilitation verlangen; im Übrigen vgl. § 8 SGB IX, § 6 SGB XI).

 

Rz. 8

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