0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit dem SGB I zum 1.1.1976 in Kraft getreten. Durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch v. 27.12.2003 (BGBl. I S. 3022) wurde zum 1.1.2005 Satz 2 eingefügt. Durch Art. 1 dieses Gesetzes wurde das SGB XII eingeführt. Ebenfalls zum 1.1.2005 wurde das Grundsicherungsgesetz aufgehoben und die Regelungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in das SGB XII eingefügt (§§ 41 bis 46 SGB XII). Durch Art. 1 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954) ist das SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) in wesentlichen Teilen am 1.1.2005 in Kraft getreten.
Rz. 2
Damit sind die Regelungsbereiche, die zum Sozialhilferecht zählen, weiter ausdifferenziert worden. Neben der im SGB XII geregelten allgemeinen Sozialhilfe sind bedürftigkeitsabhängige Sozialleistungen der Sozialen Entschädigung im SGB XIV (v. 12.12.2019, BGBl. I S. 2652, in Kraft getreten am 1.1.2024), im Rahmen der Jugendhilfe im SGB VIII, für Asylbewerber im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG), für Auszubildende im BAföG und in §§ 60 bis 62 SGB III sowie im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II normiert. Die Leistungen der allgemeinen Sozialhilfe sind auch gegenüber diesen besonderen Formen der Sozialhilfe subsidiär.
1 Allgemeines
Rz. 3
Die Vorschrift benennt als Einweisungsvorschrift die Ziele und die Grundsätze des Sozialhilferechts. Dabei ist der Begriff der Sozialhilfe nach dieser Vorschrift umfassend zu verstehen und nicht etwa allein auf den Regelungsbereich des SGB XII zu beziehen. Die einzelnen Bereiche, innerhalb derer Leistungen nach den Grundsätzen des Sozialhilferechts gewährt werden, sind im Zweiten Titel des Zweiten Abschnitts des SGB I (§§ 19 bis 29) aufgeführt.
2 Rechtspraxis
2.1 Ziele der Sozialhilfe
2.1.1 Schutz der Menschenwürde
Rz. 4
Die Sozialhilfe soll die Führung eines menschenwürdigen Lebens sichern. Ursprünglich wurde das Fürsorgewesen als Teil des Polizei- und Ordnungsrechts verstanden und ein individual-rechtlicher Anspruch auf Sozialhilfe verneint. Doch schon bald nach Inkrafttreten des Grundgesetzes hat das BVerwG insbesondere aus dem Menschenwürdegrundsatz des Art. 1 Abs. 1 GG das verfassungsrechtliche Gebot zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein hergeleitet (BVerwGE 1 S. 159). Das Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG gebietet ebenso die Absicherung des Existenzminimums durch staatliche Leistungen der Sozialhilfe. Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben greift § 9 Satz 1 auf. Die Vorschrift macht zugleich deutlich, dass die Sozialhilfe nicht nur die verfassungsrechtlich gebotene Absicherung des Existenzminimums umfasst, sondern darüber hinaus die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen soll. Dies beinhaltet auch die Integration gesellschaftlicher Randgruppen (Hochheim, in: Hauck/Noftz, SGB I, § 9 Rz. 33).
2.1.2 Hilfe zur Selbsthilfe
Rz. 5
Die Sozialhilfe soll den Leistungsempfänger zur Selbsthilfe befähigen. Dies dient dem Ziel der Sozialhilfe, den Leistungsempfänger in die Lage zu versetzen, unabhängig von Sozialhilfe zu leben (§ 1 Satz 2 SGB XII). Der mit Wirkung zum 1.1.2005 eingeführte Satz 2 betont die Mitwirkungspflicht des Hilfeempfängers. Die Mitwirkungsobliegenheiten und die daraus erwachsenden Konsequenzen sind im Einzelnen in den §§ 60 bis 67 geregelt.
2.2 Grundsätze der Sozialhilfe
2.2.1 Nachrang
Rz. 6
Anspruch auf Sozialhilfe hat gemäß Satz 1 nur derjenige, der nicht aus eigenen Mitteln den Lebensunterhalt bestreiten kann, in besonderen Lebenslagen nicht in der Lage ist, sich selbst zu helfen, und auch von anderer Seite keine ausreichende Hilfe erhält. Als eigene Mittel nennt § 2 Abs. 1 SGB XII die eigene Arbeitskraft sowie Einkommen und Vermögen. Eine sinngemäß gleiche Regelung enthält § 9 Abs. 1 SGB II. Als Verpflichtungen anderer sind in § 2 Abs. 2 SGB XII beispielhaft Unterhaltspflichten und Verpflichtungen anderer Sozialleistungsträger genannt. Das SGB II normiert Entsprechendes. Im eigentlichen Sinne beinhaltet der Nachranggrundsatz, dass der Sozialhilfeanspruch hinter anderen vorrangigen Ansprüchen des Betreffenden rechtlich zurücktritt. Trotz rechtlicher Nachrangigkeit des Sozialhilfeanspruches kann dieser gleichwohl bestehen, wenn der vorrangige Anspruch nicht aktuell realisierbar ist, also "keine bereiten Mittel" zur Verfügung stehen. Dies ist allerdings dem mit dem Nachranggrundsatz eng verbundenen Bedarfsdeckungsgrundsatz zuzuordnen (vgl. Rothkegel, Sozialhilferecht, Teil II, Kapitel 7, Rz. 15). Ausprägungen des Nachranggrundsatzes sind die Vorschriften zum Übergang von Ansprüchen, insbesondere Unterhaltsansprüchen nach §§ 93, 94 SGB XII (auch Überleitung genannt) und § 33 SGB II, sowie die Befugnis des Sozialhilfeträgers, die Feststellung einer Sozialleistung zu betreiben sowie Rechtsmittel einzulegen (§ 95 SGB XII).
2.2.2 Bedarfsdeckung
Rz. 7
Der Hilfebedürftige hat gemäß Satz 1 ein Recht auf persönliche und wirtschaftliche Hilfe, die seinem Bedarf entspricht. Dies ist Ausdruck der aus dem Sozialstaatsprinzip erwachsenden staatlichen Verpflichtung, die Menschenwürde zu schü...