Rz. 7
Der 12-Monats-Zeitraum beginnt nach Abs. 2 mit der Kenntniserlangung des schädigenden Ereignisses durch den Angehörigen, Hinterbliebenen oder Nahestehenden. In den Fällen des Abs. 2 können Tat und Information hierüber zeitlich – erheblich – auseinanderfallen, etwa wenn bei einer verschollenen Person erst lange nach ihrer Tötung Gewissheit über ihr Ableben besteht oder deren Hinterbliebene erst viel später ausfindig gemacht werden können.
2.2.1 Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende
Rz. 8
Angehörige sind Ehegatten, Kinder und Eltern eines noch lebenden Geschädigten. Hier muss bei dem Geschädigten eine gesundheitliche Schädigung (verursacht durch den tätlichen Angriff) vorliegen, bei den Angehörigen muss keine kausal verursachte gesundheitliche Schädigung eingetreten sein. Auch ist nicht wie beim Schockschaden ein besonderes Näheverhältnis gefordert.
Rz. 9
Als Ehegatten in diesem Sinne zählen auch Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz. Als Kinder gelten neben den leiblichen Kindern auch im Haushalt der Geschädigten aufgenommene Stief- oder Pflegekinder. Pflegekind ist danach, mit wem der Geschädigte durch ein familienähnliches, auf Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern dieser das Kind nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Ebenso gelten als Kinder die vom Geschädigten in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder seines Ehegatten oder Lebenspartners und in seinen Haushalt aufgenommene Enkel (Hinweise für Traumaambulanzen in Brandenburg für psychotherapeutische Interventionen im Rahmen der Schnellen Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch – Soziale Entschädigung (SGB XIV)).
Rz. 10
Wer Elternteil ist, richtet sich nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Mutter ist die Frau, die das Kind geboren hat. Vater ist, wer zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war, die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist. Auch Adoptiveltern sind Eltern.
Rz. 11
Hinterbliebene sind die Witwe oder der Witwer, Waisen, Eltern (s. o.) und Betreuungsunterhaltsberechtigte des verstorbenen Geschädigten.
- Witwe/Witwer ist, wer beim Tode des Geschädigten mit diesem verheiratet war oder mit Lebenspartner desselben war.
- Waisen sind die Kinder, in den Haushalt aufgenommene Stiefkinder sowie Pflegekinder. Halbwaisen stehen den Waisen gleich.
Rz. 12
Nahestehende sind Geschwister der geschädigten oder getöteten Person sowie Personen, die mit dieser in einem eheähnlichen Verhältnis stehen.
- Geschwister sind die Schwestern, Brüder, Halbgeschwister und Adoptiv(halb-)geschwister. Stief- und Pflegegeschwister gelten als Geschwister in diesem Sinne, wenn sie mit der geschädigten oder getöteten Person in einem Haushalt lebten.
- Ein eheähnliches Verhältnis erfordert eine gewisse Stabilität der Paarbeziehung, die einer Ehe ähnlich ist. Das schädigende Ereignis muss einen Einschnitt im Leben der "nahestehenden Person" bedeuten.
Die Staatsangehörigkeit und der Aufenthaltsstatus der antragstellenden Person ist für die Berechtigung nicht von Belang.
2.2.2 Kenntniserlangung
Rz. 13
Die in Abs. 2 genannten Personen sollen psychotherapeutische Frühintervention erhalten, wenn die erste Sitzung innerhalb von 12 Monaten erfolgt, nachdem sie von dem schädigenden Ereignis Kenntnis erhalten haben. Die Vorschrift enthält keine absolute Grenze des zeitlichen Abstands zum schädigenden Ereignis. Auch lange zurückliegende schädigende Ereignisse unterfallen der Vorschrift, da diese ausdrücklich nicht auf den Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses, sondern auf die Kenntniserlangung hiervon abstellt. Die 12 Monate sind der maximale Zeitraum nach Kenntniserlangung. Eine Verlängerung ist nicht vorgesehen.
2.2.3 "Soll-Anspruch"
Rz. 14
Nach Abs. 2 "sollen" Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende psychotherapeutische Frühintervention in einer Traumaambulanz erhalten. Geschädigte erhalten im Regelfall die psychotherapeutische Frühintervention nach dieser Norm, der Zugang kann nur in Ausnahmefällen verneint werden (BT-Drs. 19/13824 S. 185). Nur in atypischen Fallkonstellationen kann von dem Regelfall abgewichen werden. Denkbar sind solche Fallkonstellationen bei Bagatelldelikten oder dann, wenn das schädigende Ereignis nur sehr geringe gesundheitliche Schädigungen zur Folge hatte.