0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift ist mit Art. 1 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts v. 19.12.2019 (BGBl. I S. 2652) zum 1.1.2021 in Kraft getreten. Eine Vorgängervorschrift gab es nicht.
1 Allgemeines
Rz. 2
Die Vorschrift regelt, dass Berechtigte psychotherapeutische Frühintervention in einer Traumaambulanz erhalten sollen, wenn die erste Sitzung innerhalb von 12 Monaten nach dem schädigenden Ereignis bzw. Kenntnis der berechtigten Person hiervon erfolgt. Geschädigte erhalten im Regelfall die psychotherapeutische Frühintervention nach dieser Norm, der Zugang kann nur in Ausnahmefällen verneint werden (BT-Drs. 19/13824 S. 185). In Abs. 1 ist die psychotherapeutische Frühintervention für Geschädigte normiert. Abs. 2 regelt die psychotherapeutische Frühintervention bei Angehörigen, Hinterbliebenen und Nahestehenden.
2 Rechtspraxis
2.1 Psychotherapeutische Frühintervention für Geschädigte (Abs. 1)
Rz. 3
Nach Abs. 1 sollen Geschädigte psychotherapeutische Frühintervention in einer Traumaambulanz erhalten, wenn die erste Sitzung innerhalb von 12 Monaten nach dem schädigenden Ereignis oder nach Kenntnisnahme hiervon erfolgt. Der Begriff des "Geschädigten" ist in § 2 Abs. 2 definiert. Geschädigter ist danach eine Person, die durch ein schädigendes Ereignis nach dem SGB XIV unmittelbar eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Auf die Kenntniserlangung ist bei Geschädigten etwa dann abzustellen, wenn sie durch die Tat in einen komatösen Zustand fallen (BT-Drs. 19/13824 S. 185).
2.1.1 12-Monats-Zeitraum
Rz. 4
Zum 12-Monats-Zeitraum heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs 19/13824 S. 185):
Zitat
Der zwölfmonatige Zeitraum wurde gewählt, weil sich aus wissenschaftlichen Untersuchungen und Gesprächen mit Experten ergeben hat, dass es wichtig ist, Betroffene möglichst frühzeitig psychotherapeutisch zu betreuen. Eine schnelle Hilfe, also möglichst frühzeitige Inanspruchnahme der Traumaambulanz ist am besten geeignet, um den Eintritt einer psychischen Gesundheitsstörung oder deren Chronifizierung zu verhindern. Warten Betroffene zu lange mit der Inanspruchnahme einer Traumaambulanz, kann der damit verfolgte Zweck meist nicht mehr erreicht werden. Diese Personen benötigen dann keine Schnellen Hilfen mehr, vielmehr erhalten sie reguläre psychotherapeutische Leistungen. Da sich die psychischen Folgen der Tat oft nicht unmittelbar nach dem schädigenden Ereignis, sondern teilweise auch bis zu einem Jahr danach zeigen, wird den Betroffenen nach der Tat bzw. der Kenntniserlangung hiervon eine Jahresfrist eingeräumt, um die Leistungen der Traumaambulanz in Anspruch zu nehmen.
Rz. 5
Ein Geschädigter soll psychotherapeutische Leistungen in einer Traumaambulanz erhalten, wenn die erste Sitzung innerhalb von 12 Monaten nach dem schädigenden Ereignis oder der Kenntnis hiervon erfolgt. Der 12-Monats-Zeitraum beginnt mit dem Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses oder nach Kenntnisnahme hiervon. Der 12-Monats-Zeitraum ist nicht nur bloßer Richtwert, sondern eine Ausschlussfrist. Überschreiten Betroffene mit der Inanspruchnahme der Traumaambulanz den 12-Monats-Zeitraum, können sie psychotherapeutische Leistungen nur nach dem Recht der gesetzlichen Krankenkassen (SGB V) oder auf Grundlage privatrechtlicher Vereinbarung erhalten. Die 12-Monats-Frist beginnt mit dem schädigenden Ereignis bzw. der Kenntnis davon (Bienert, in: Schmidt, SGB XIV, § 32 Rz. 7). Innerhalb dieser 12-Monats-Frist muss die erste Sitzung stattfinden. Die Frist ist verbindlich, sodass auch Hinderungsgründe für die Einhaltung der 12-Monats-Frist, die außerhalb des Einflussbereichs des Geschädigten liegen (z. B. Verzögerung in der Antragsbearbeitung oder Terminverschiebung durch die Traumaambulanz) zulasten des Geschädigten gehen. Ein Anspruch nach § 32 Abs. 1 ist damit ausgeschlossen. Rechtsperspektivisch ist – soweit die Praxiserfahrungen zur Feststellung gelangen, dass zeitnahe Termine in den Traumaambulanzen nur schwierig zu erhalten sind – zu erwägen, eine Ergänzung von § 32 Abs. 1 dergestalt vorzunehmen, dass eine nur vom Geschädigten zu vertretene Versäumnis der 12-Monats-Frist zum Leistungsausschluss führt.
2.1.2 Ermessensleistung
Rz. 6
Nach Abs. 1 "sollen" Geschädigte psychotherapeutische Frühintervention in einer Traumaambulanz erhalten. Geschädigte erhalten im Regelfall die psychotherapeutische Frühintervention nach dieser Norm, der Zugang kann nur in Ausnahmefällen verneint werden (BT-Drs. 19/13824 S. 185). Nur in atypischen Fallkonstellationen kann von dem Regelfall abgewichen werden. Denkbar sind solche Fallkonstellation bei Bagatelldelikten oder dann, wenn das schädigende Ereignis nur sehr geringe gesundheitliche Schädigungen zur Folge hatte. Nach Bienert soll in Ablehnung eher erfolgen können, je weiter der 12-Monats-Zeitraum ausgeschöpft ist (Bienert, in: Schmidt, SGB XIV, § 32 Rz. 11). Diese Auffassung ist nicht unproblematisch, da mitunter erst in gewissem zeitlichen Abstand zum schädigenden Ereignis die gesundheitlichen Beeinträchtigungen spürbar werden.
2.2 Psychotherapeutische Frühintervention für Angehörige, Hinterbliebene und Nahestehende (Abs. 2)
Rz. 7
Der 12-Monats-Zeitraum beginnt nach Abs. 2 mit der Kenntniserlangung des schädigenden Ereignisses durch den Angehörigen, Hinte...