Entscheidungsstichwort (Thema)
Abmahnung wegen des Tragens einer islamischen Kopftuches durch eine Erzieherin. Abmahnung. Kopftuch, Kindertagesstätte
Leitsatz (amtlich)
1. § 7 Absatz 6 Satz 1 KiTaG BW ist Ausdruck des staatlichen Neutralitätsgebotes. Das Neutralitätsgebot gilt auch in (staatlichen) kommunalen Kindergärten.
2. Das in § 7 Absatz 6 Satz 1 KiTaG BW statuierte Verbot religiöser äußerer Bekundungen durch Erzieherinnen im Kindergarten knüpft an einen abstrakten Gefährdungstatbestand an.
3. Das Tragen eines islamischen Kopftuches durch eine Erzieherin im Kindergarten führt zu einer abstrakten Gefährdung der religiösen Neutralität des Kindergartens und des religiösen Friedens im Kindergarten.
4. Eine Erzieherin ist kraft Arbeitsvertrages und ihrer funktionellen Stellung als Bezugs- und Autoritätsperson Repräsentantin des kommunalen Trägers. Trägt eine Erzieherin im Kindergarten ein islamisches Kopftuch, verstößt sie gegen das staatliche Neutralitätsgebot des § 7 Absatz 6 Satz 1 KiTaG BW und kann deswegen abgemahnt werden.
5. § 7 Absatz 6 Satz 1 KiTaG BW ist mit dem Grundgesetz vereinbar und verstößt insbesondere nicht gegen die positive Glaubensfreiheit der Trägerin des Kopftuches nach Artikel 4 Absatz 1 und Absatz 2 GG.
6. Das Tragen des islamischen Kopftuches ist eine äußere Bekundung, die jedoch nicht den Kernbereich der Religionsausübung (Glaubensfreiheit) betrifft. Deshalb geht im Rahmen der gebotenen Abwägung der kollidierenden Grundrechtspositionen das Recht der Eltern zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht sowie das Recht der Kindergartenkinder auf negative Glaubensfreiheit vor.
7. Es liegt auch kein Verstoß gegen übergeordnetes Bundesrecht gemäß Artikel 31 GG, §§ 7, 3 Absatz 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 1 AGG und auch nicht gegen das dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zugrunde liegende europäische Gemeinschaftsrecht (Richtlinie 2000/ 78/EG) vor. Jedenfalls ist eine derartige Benachteiligung nach § 8 Absatz 1 AGG gerechtfertigt. Ebenso verhält es sich mit Artikel 9 Absatz 1 EMRK.
Normenkette
KiTaG BW § 7 Abs. 6; GG Art. 4, 31; AGG § 1; BGB §§ 611, 241 Abs. 2, §§ 1004, 242
Verfahrensgang
ArbG Stuttgart (Urteil vom 15.10.2008; Aktenzeichen 14 Ca 7300/07) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 15.10.2008 – 14 Ca 7300/07 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Abmahnung.
Die am 00.00.1973 geborene Klägerin ist auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 27.02.2003 in Verbindung mit dem Änderungsvertrag vom 04.08.2003 bei der beklagten Stadt als staatlich anerkannte Erzieherin in Teilzeit gegen ein Bruttomonatsentgelt von EUR 1.308,00 beschäftigt. Zuvor war die Klägerin vom 03.09.2001 bis 02.09.2003 als Praktikantin bei der beklagten Stadt tätig. Sie ist in der Türkei geboren, nunmehr deutsche Staatsangehörige und Angehörige des muslimischen Glaubens; sie trägt aus religiöser Überzeugung in der Öffentlichkeit einschließlich während ihrer Tätigkeit als Erzieherin ein Kopftuch. Die beklagte Stadt verfügt über ca. 34 Kindertagesstätten.
Durch das Gesetz zur Änderung des Kindergartengesetzes vom 14.02.2006 (GBl. S. 30), unter anderem wurde auch durch Artikel 1 Nr. 1 die Überschrift des Gesetzes in „Gesetz über die Betreuung und Förderung von Kindern in Kindergärten, anderen Tageseinrichtungen und der Kindertagespflege (Kindertagesbetreuungsgesetz – KiTaG)” geändert, wurden § 7 Abs. 5 folgende Absätze 6 bis 8 angefügt:
„(6) Fachkräfte im Sinne der Absätze 1 und 2 und andere Betreuungs- und Erziehungspersonen dürfen in Einrichtungen, auf die dieses Gesetz Anwendung findet und die in Trägerschaft des Landes, eines Landkreises, einer Gemeinde, einer Verwaltungsgemeinschaft, eines Zweck- oder Regionalverbandes stehen, keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußeren Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Trägers gegenüber Kindern und Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden in Einrichtungen, auf die dieser Absatz Anwendung findet, zu gefährden oder zu stören. Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Kindern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Fachkraft oder eine andere Betreuungs- und Erziehungsperson gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Auftrags nach Artikel 12 Abs. 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg zur Erziehung der Jungend im Geiste der christlichen Nächstenliebe und zur Brüderlichkeit aller Menschen und die entsprechende Darstellung derartiger Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot ...