Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsvereinbarung. Ersetzung durch Verwaltungsakt. Änderung des Ersetzungsbescheides nur unter den Voraussetzungen der §§ 44 ff SGB 10
Leitsatz (amtlich)
Die Abänderung eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts während dessen Geltungszeitraum durch einen weiteren Ersetzungsbescheid nach § 15 Abs 1 S 6 SGB 2 ist nur unter Beachtung der Voraussetzungen des § 48 Abs 1 SGB 10 zulässig.
Orientierungssatz
Selbst die Anpassung einer Eingliederungsvereinbarung nach § 15 Abs 1 S 1 SGB 2 bedarf als öffentlich-rechtlicher Vertrag einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iS von § 59 Abs 1 SGB 10.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 18. Mai 2011 abgeändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 29. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2011 wird angeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller drei Viertel seiner außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers hat nur in dem aus dem Beschlussausspruch ersichtlichen Umfang Erfolg.
Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1 a.a.O., für Vornahmesachen in Abs. 2 a.a.O. Das vorliegende Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist - wie nachstehend noch auszuführen sein wird - unter beide Regelungen zu fassen. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
1.) Die unter Beachtung der Form- und Fristvorschrift des § 173 SGG eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist gemäß § 172 SGG statthaft, soweit dieser mit seinem einstweiligen Rechtsschutzantrag die “Einsetzung der aufschiebenden Wirkung„ seiner Rechtsbehelfe wegen des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheids vom 29. April 2011 begehrt. Da mittlerweile der - den Widerspruch des Antragstellers gegen diesen Bescheid zurückweisende - Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2011 ergangen ist und jener deswegen beim Sozialgericht Freiburg (SG) am 9. Juni 2011 rechtzeitig Klage (S 13 AS 3041/11) erhoben hat, ist sein vorliegendes Rechtsschutzverlangen dahingehend auszulegen, dass es ihm nunmehr um die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage wegen der vorgenannten Bescheide geht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 16. April 2008 - L 7 AS 1398/08 ER-B - Breithaupt 2008, 1004). Denn die Anfechtungsklage gegen derartige Ersetzungsbescheide, die (wie hier) die Pflichten erwerbstätiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regeln, entfaltet gemäß der den § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG konkretisierenden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden (vgl. Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫, Beschluss vom 30. Oktober 2009 - 1 BvR 2395/09 - NJW 2010, 1871) Bestimmung des § 39 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - SGB II - (in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Mai 2011 ≪BGBl. I S. 850≫; vgl. Art. 13 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB XII≫ vom 24. März 2011 ≪BGBl. I S. 453≫) keine aufschiebende Wirkung. Der erstrebte einstweilige Rechtsschutz kann deshalb, wie vom SG zutreffend erkannt, nur über § 86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG gesucht werden.
Der mithin statthafte Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren S 13 AS 3041/11 gegen den Bescheid vom 29. April 2011 (Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2011) greift hier auch durch. Die Eilentscheidung in Anfechtungssachen verlangt eine Interessenabwägung, wobei das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes und das durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützte Aufschubinteresse gegeneinander abzuwägen sind (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 12. April 2006 - L 7 AS 1196/06 ER-B - info also 2006, 132 und vom 16. April 2008 a.a.O.). Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung sind in die Betrachtung einzubeziehen die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs; dabei kommt dem ...