Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. keine Aufrechnung zur Tilgung eines Mietkautionsdarlehens. Pfändungsgrenze bei Arbeitseinkommen. Kaution als Unterkunftsbedarf. Darlehensvertrag. unzulässige Rechtsausübung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum vorläufigen Rechtsschutz, wenn wegen der ratenweise vereinbarten Rückzahlung eines Mietkautionsdarlehens Teile des dem Pfändungsschutz unterliegenden Arbeitslosengeld II einbehalten werden.

2. Ein solcher als Aufrechnung zu beurteilender Einbehalt ist nach § 51 Abs 1 SGB 1 iVm § 54 Abs 4 SGB 1 iVm § 850c Abs 1 S 1 ZPO nicht zulässig.

3. Da der durch eine Mietkaution entstehende Bedarf nicht von der Regelleistung abgedeckt wird, es sich dabei vielmehr um besondere Aufwendungen zur Deckung des Unterkunftsbedarfs handelt, greift auch die Aufrechnungsbefugnis in § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 nicht ein.

4. Dies gilt selbst dann, wenn nach dem Darlehensvertrag das Mietkautionsdarlehen gemäß § 23 Abs 1 SGB 2 gewährt wird. Der für den öffentlich-rechtlichen Vertrag nach § 61 S 2 SGB 10 ergänzend heranzuziehende Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt es der Behörde, sich auf diese unzutreffende Rechtsgrundlage zu berufen.

 

Orientierungssatz

1. Bei der vom Grundsicherungsträger erklärten Aufrechnung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 handelt es sich weder um einen Verwaltungsakt noch um einen Formverwaltungsakt, so dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung statthaft ist.

2. Eine am Maßstab des § 23 Abs 1 S 3 SGB 2 zu messende Aufrechnung setzt ebenso wie eine Aufrechnung nach § 51 Abs 1 SGB 1 sowohl bezüglich der Entschließung als solcher als auch hinsichtlich des Umfangs der Aufrechnung die Ausübung von Ermessen voraus. Denn der Anspruch des Bürgers auf eine sachgerechte Ermessensbetätigung ist nicht auf den Erlass von Verwaltungsakten beschränkt. Dies gilt insbesondere, wenn es - wie hier - um Kürzungen der laufenden Zahlung auf Werte unterhalb dessen, was als Existenzminimum anzusehen ist, geht. Dann bedarf es einer besonders sorgfältigen Ermessensausübung.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 7. Juni 2006 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 24. Mai 2006 das Arbeitslosengeld II ohne Einbehaltung eines Betrages für die Rückzahlung des Mietkautionsdarlehens auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig und sachlich in vollem Umfang begründet.

Entgegen dem angegriffenen Beschluss ist die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab Rechtshängigkeit des Eilrechtsschutzes am 24. Mai 2006 das Arbeitslosengeld II (Alg II) in der bewilligten Höhe ohne Einbehaltung von Tilgungsraten für die Rückzahlung des Mietkautionsdarlehens auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin, die der Antragstellerin seit 1. April 2006 Alg II gewährt, hat für eine von ihr an den Vermieter gezahlte Mietkaution in Höhe von 300,00 € am 24. März 2006 mit der Antragstellerin einen Darlehens- und Abtretungsvertrag geschlossen. Diesem zufolge wird das für die Mietkaution zweckbestimmte Darlehen auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) gewährt (§§ 1, 2 des Vertrags). Das Darlehen ist in monatlichen Raten von mindestens 50,00 € zu tilgen (§ 3 des Vertrags); die Antragstellerin als Darlehensnehmerin hat ihren Kautionsrückzahlungsanspruch gegenüber dem Vermieter erfüllungshalber unwiderruflich mit sofortiger Wirkung und in vollem Umfang an die Antragsgegnerin als Darlehensgeberin abgetreten. Die Antragsgegnerin hat mit der Bewilligung von Alg II im Bescheid vom 27. März 2006 in Höhe von 644,24 € (Änderungsbescheid vom 10. Juli 2006: 647,00 €) mitgeteilt, sie behalte ab 1. Mai 2006 aufgrund des Darlehensvertrages monatlich 50,00 € ein. Dagegen richtete sich der mit Widerspruchsbescheid vom 29. Mai 2006 wegen fehlender Regelung als unzulässig zurückgewiesene Widerspruch und das am 24. Mai 2006 anhängig gemachte Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz, welches auf ungekürzte Auszahlung des bewilligten Alg II abzielt. Im erstinstanzlichen Verfahren hat die Antragstellerin ein Teilanerkenntnis der Antragsgegnerin über die Kürzung des Einbehalts auf 20,70 € monatlich angenommen. Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren auf ungekürzte Auszahlung des Alg II weiter, welches vor dem Sozialgericht keinen Erfolg hatte.

Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus (zum Folgenden vgl. Sen...

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